KANBrief 3/16

Selbstfahrende Fahrzeuge: Wichtige Fragen noch offen

Die Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge ist in vollem Gange, wirft jedoch eine Vielzahl von Fragen auf. Wer haftet bei Unfällen? Können und dürfen autonome Fahrzeuge ethische Entscheidungen zur Unfallvermeidung treffen? Die Normung ist schon sehr aktiv und steckt den technischen Rahmen für die neuen Entwicklungen ab.

Zur Unfallvermeidung ist zunächst anzumerken, dass die heutigen Systeme noch nicht akkurat genug arbeiten, um eine Situation mit 99.999%iger Genauigkeit zu erfassen und damit als Entscheidungsgrundlage für Ausweichmanöver zu dienen. Bestimmte Regeln technisch zu übertragen ist eventuell möglich. Es bleibt jedoch die Frage der Akzeptanz solcher Algorithmen durch die Gesellschaft, aber auch durch den Fahrzeugkäufer, der ggf. andere Vorstellungen über solche ethischen Fragen hat.

Beim Thema Ausfallsicherheit stellt sich die Frage, wie redundant Systeme sein müssen. Brauche ich ähnlich wie im Flugzeugbau jede elektronische Einheit im Fahrzeug mehrfach? Wer überwacht die einzelnen Module? Wieviel Zeit muss man den Passagieren geben, um im Notfall eingreifen zu können, wobei die Spanne von wenigen Sekunden bis hin zu wenigen Minuten reicht. Diese Übergabezeit lang müsste ein System selbst bei allen denkbaren Fehlern weiterhin sicher funktionieren. Bei einem Fahrzeug ohne Lenkrad gestaltet sich die Lösung noch schwieriger, da ein Eingreifen durch die Passagiere gar nicht mehr möglich wäre. Es gibt hierzu bereits Versuche mit redundanten Systemen auf allen Ebenen. Jeder Algorithmus könnte z.B. mehrmals parallel berechnet und im Anschluss verglichen werden. Netzwerkleitungen und Stromversorgungen könnten ebenfalls parallel existieren.

Welche Systeme sollen überhaupt zugelassen werden und wie können sie ausreichend getestet werden? Viele Verfahren, die durch maschinelles Lernen trainiert wurden (z.B. Passantenerkennung), sind nicht formallogisch, sondern nur noch statistisch über große Testdatensätze verifizierbar. Wie viele Testkilometer bräuchte dann ein Fahrzeug, bis es als sicher gilt und was passiert, wenn eine Komponente im System ein Software-Update erhält? Müssten dann alle Testfahrten von Neuem begonnen werden? Sind die damit verbundenen Kosten tragbar oder können Simulationen helfen, den Testaufwand zu reduzieren?

Eine andere Frage stellt sich zur Rechner-Architektur in selbstfahrenden Fahrzeugen. Gelangt man zu autonomen Fahrzeugen über viele kleine miteinander verbundene Miniassistenten, die alle nur eine Teilaufgabe lösen, wie es bei heutigen Fahrzeugen der Fall ist? Oder ist nicht vielmehr eine situative und umfassende Wahrnehmung der Umwelt notwendig, deren Kern ein leistungsfähiger Zentralrechner ist, der alle Entscheidungen trifft?

Zur Infrastruktur ist zu klären, ob es Ziel der Forschung sein sollte, Fahrzeuge wie Menschen fahren zu lassen oder aber die Infrastruktur zu erweitern, um bestimmte Probleme zu umgehen. Vermutlich kann z.B. die Ampelerkennung nicht rein kamerabasiert erfolgen, sondern die Ampel müsste mit dem Fahrzeug kommunizieren. Wieviel Umbau der Infrastruktur ist sowohl ökonomisch als auch gesellschaftlich vertretbar? Müssen wir Menschen vom autonomen Straßenverkehr durch Absperrungen (und Überführungen) abschirmen, ähnlich wie es bei vielen hochautomatisierten U-Bahnzügen der Fall ist?

Wie viel Entscheidungsfreiheit möchte ich an die Infrastruktur abgeben? Schon heute können Fahrzeuge mit anderen Fahrzeugen kommunizieren, oder sie können durch eine Zentrale am Losfahren gehindert werden. Damit einhergehend die Frage zum Datenschutz – jeder gefahrene Meter ist von außen verfolgbar. Auch die Frage der Angreifbarkeit hochautomatisierter Systeme von außen, z.B. über das Internet oder über Störsender, ist sehr aktuell.

Für den Arbeitsschutz ist wichtig, dass die Fahrer ausreichend mit der Funktionsweise (teil-)automatisierter Fahrzeuge vertraut gemacht werden. Außerdem ist zu klären, wie Arbeitgeber eine umfassende Gefährdungsbeurteilung leisten sollen: schon heute stellt sich etwa die Frage, welche Nebentätigkeiten Fahrer während der Fahrt verrichten dürfen (z.B. Bedienung von Geräten / Disponententätigkeiten).

Automatisierungsgrad:* 0-2 3 4-5
Fahrer/System Interaktivität Ja (verpflichtend) Nein (nicht verpflichtend)
Reaktionszeit Ungefähr 1 S. Einige Sekunden Einige Minuten
Sekundäre Aufgaben Nein (verboten) Einige Alle (inkl. Schlaffunktion)
Risikominderndes Manöver Nein Möglich Immer (verpflichtend)
Selbstfahrend vom Startpunkt zum Zielort Nein (Nur spezifische Situationen/über einen definierten Zeitraum) Ja

* Legende Automatisierungsgrad:

0 - nur mit Fahrer: Spurenverlasserwarner (LDW), Spurwechsel-Unterstützung (LCS), Kollisionswarnsystem ( FCW)
1 - unterstützend: Abstandsregeltempomat ( ACC), Spurhalteassistenz (LKA)
2 - teilweise automatisiert: Stau-Assistent
3 - größtenteils automatisiert: Highway chauffeur
4 - Vollautomatisiert: Notbremsassistent
5 - Fahrerlos: Robotertaxi

Prof. Dr. Daniel Göhring
daniel.goehring@fu-berlin.de

Normung selbstfahrender Fahrzeuge

Normung in Richtung selbstfahrendes Auto findet bereits auf verschiedenen Ebenen statt. Angefangen bei den Festlegungen der unterschiedlichen Automatisierungsgrade sowie Begrifflichkeiten (SAE J3016) bis hin zu Fahrerassistenzsystemen (ISO TC 204/WG 14), zu denen bereits verschiedene Normen der Stufen 0 und 1 (z.B. Spurverlassenswarner (LDW), automatische Distanzregelung (ACC), Parklenkassistent usw.) veröffentlicht wurden. Die WG 14 arbeitet gegenwärtig an Normen der Stufe 2, z.B. partielles automatisiertes Fahren innerhalb einer Fahrspur.

Der Bereich Ergonomie im Fahrzeug und Mensch-Maschine-Schnittstelle (ISO TC 22/SC3 39) beschäftigt sich mit dem Faktor Mensch bei Stufe-3-Systemen unter Berücksichtigung verschiedener Forschungsprojekte, Zum Thema Vernetzung finden seit vielen Jahren umfangreiche Aktivitäten unter den Begriffen „intelligente Verkehrssysteme“ und „Kooperative Systeme“ im ISO TC 204 und im CEN TC 278/ETSI IST statt. 

 Eric Wern (DIN NA Automobiltechnik), wern@vda.de