KANBrief 3/16

Finger weg, ISO, von sozial- und gesellschafts- politischen Themen!

Seit ihrer Gründung 1946 hat die internationale Normungsorganisation ISO laut eigenen Angaben über 20.000 Normen erarbeitet. Dabei handelt es sich mehrheitlich um technische Normen. In jüngster Zeit gibt es jedoch auch immer mehr internationale Normungsvorhaben zu sozial- und gesellschaftspolitischen Themen. Dieser Trend ist aus mehr als einem Grund äußerst umstritten.

Normungsaktivitäten sind wichtig, um sicherzustellen, dass technische Produkte und Dienstleistungen weltweit in vergleichbarer Qualität bereitgestellt werden. Darüber hinaus tragen technische Normen dazu bei, dass Produkte sowohl für den Verbraucher als auch für gewerbliche Anwender so sicher wie möglich gestaltet werden.

ISO auf neuen Pfaden

Die ISO ist eine unabhängige, privatwirtschaftliche, nicht-staatliche Organisation. Allein aus diesem Grund sollte sie keine Normen zu sozial- und gesellschaftspolitischen Themen erarbeiten, die im Verantwortungsbereich des Gesetzgebers, der Unfallversicherungsträger oder der Sozialpartner liegen. Ungeachtet dessen hat die ISO seit nunmehr vielen Jahren Normungsinitiativen zu diesen Themen entwickelt, die klar in die Zuständigkeit allgemeiner Sozial-, Gesellschafts- und Tarifpolitik fallen und gerade nichts mit der klassisch technischen Normung zu tun haben.

Beispiele dafür sind ISO-Normungsinitiativen zur gesellschaftlichen Verantwortung von Organisationen, Personalmanagement, Arbeitsschutzmanagementsystemen, Risikomanagement, Anti-Korruptions-Managementsystemen oder Compliance. Vor kurzem gab es sogar Bemühungen, das Prinzip des „Halal“, (Bedeutung: nach islamischen Glaubensvorschriften erlaubt) in eine ISO-Norm zu gießen. Die meisten Verbände der unternehmerischen Wirtschaft haben sich regelmäßig vehement gegen solche Aktivitäten ausgesprochen. Ziel ist es, derartige Normen zu verhindern, da sie nicht zuletzt in tarifpolitischer Zuständigkeit liegen und damit völlig unpassend für die ISO sind.

Aktuelles Beispiel: Organisationsführung

Ein erneuter Versuch der Normung, Einfluss auf die Unternehmenspolitik zu nehmen, ist der Vorschlag, ein ISO-Gremium zum Thema „Organisationsführung“ zu gründen. Der Sinn dieses Vorhabens, das sich aktuell in der Umfrage befindet, ist mehr als fragwürdig. Zum einen existieren neben den nationalen Kodizes im Bereich der Unternehmensführung auch auf europäischer und internationaler Ebene vielfältige Prinzipien, an denen sich die Unternehmen schon heute ausrichten (z.B. die OECD-Grundsätze der Corporate Governance und die OECD-Leitsätze zu Corporate Governance in staatseigenen Unternehmen). Einer „Konsolidierung bereits bestehender Orientierungshilfen, Empfehlungen und Anforderungen“ durch ISO, wie im Vorschlag ausgeführt, bedarf es hierfür gerade nicht.

Unnötiger Zertifizierungsdruck

Die Wirtschaft sieht den ungebremsten Zuwachs an sozial- und gesellschaftspolitischen Normungsvorhaben überwiegend kritisch, zumal es sich hierbei meistens um Managementsystemnormen handelt. Normen, die sich nicht an den Interessen der Unternehmen orientieren, sollten tunlichst nicht erarbeitet werden. Zudem haben die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt, dass es schwierig ist, Fehlentwicklungen, die im Zuge der Entwicklung von ISO-Standards aufgetreten sind, gezielt entgegenzuwirken.

Derartige ISO-Normen lassen einen hohen Zertifizierungsdruck erwarten. Die damit verbundenen zusätzlichen bürokratischen Belastungen für die Unternehmen und ihre Geschäftspartner sind dabei deutlich höher als der zu erwartende Nutzen. Dies gilt insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen. Eine Zertifizierung ist für sie äußerst aufwendig und überfordert sie.

Das Argument, dass Unternehmen nicht dazu verpflichtet seien, einen ISO-Standard umzusetzen, verkennt die gewollte und regelmäßig eintretende faktische Wirkung dieser Dokumente in der Realität. Für die Vergabe öffentlicher Aufträge und insbesondere von direkten Zulieferunternehmen wird eine Umsetzung von ISO-Standards in der Regel erwartet bzw. vorausgesetzt. Dadurch sind Unternehmen und auch deren Zulieferer praktisch gezwungen, ISO-Standards umzusetzen und sich zertifizieren zu lassen. Bei technischer Normung hat das positive Effekte für Produktqualität und Wettbewerb. Bei sozial- und gesellschaftspolitischer Normung kann die Wirkung für die Unternehmen fatal sein.

Eckhard Metze
metze@kan.de
Leiter des Arbeitgeberbüros in der KAN-Geschäftsstelle
Stellvertretender Vorsitzender des DIN-Normenausschuss „Organisationsprozesse“