KANBrief 3/15
Gespräche mit Fach- und Führungskräften sowie Analysen von Unternehmen belegen: Der praktische Nutzen der Ergonomienormung ist aktuell eher eingeschränkt. Eine ernüchternde Tatsache, die im Normenausschuss Ergonomie im DIN zu einem reflektierten Strategieprozess mit der wesentlichen Zielsetzung führt: Die Ergonomienormung soll weit mehr als bisher Hilfestellung bei der Gestaltung der Arbeitswelt der Zukunft geben.
In einem von der KAN und dem ifaa (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e.V.) ausgerichteten Workshop „Normung und Ergonomie“ diskutierten Ergonomie-Experten aus verschiedenen deutschen Unternehmen im Juni 2014 die Praxisrelevanz der Ergonomienormung. Ihre Bedeutung lässt sich so skizzieren:
Formale Anforderungen an die Ergonomienormung
Der DIN-Normenausschuss Ergonomie (NAErg) hat beschlossen, einen Strategieprozess zu initiieren, um sich den Chancen und Risiken der Zukunft für die deutsche Ergonomienormung zu stellen. Zum Auftakt des Strategieprozesses erörterten Mitarbeiter aus verschiedenen Gremien des NAErg sowie externe Experten aus unterschiedlichen Unternehmen die Anforderungen an moderne Ergonomienormen. Sie sollen
Lange Normen mit kurzem Anforderungsteil und langen informativen Anhängen könnten beispielsweise in Norm und Technical Report oder in mehrere Teile aufgeteilt werden.
Normennavigator als Wegweiser
Die Ergonomienormung erscheint aufgrund der weitgefächerten Breite (Produkt- und Prozessergonomie, körperliche und geistige Belastungen usw.) und der detaillierten Tiefe der einzelnen Themen für viele Anwender in der Praxis als intransparent. Die notwendigen Regelwerke werden nicht aufgefunden bzw. es wird gar nicht erst versucht, sie zu finden.
Eine strategische Vision aus dem Workshop zum Auftakt des NAErg-Strategieprozesses ist die Realisierung eines Normennavigators. Der Normennavigator soll ein System werden, welches das Gesamtwerk ergonomischer Normen begreifbar und strukturiert einfach zugänglich machen soll. Verschiedene Auswahlfilter ermöglichen es dem Anwender, zielgerichtet die thematisch relevante Norm aufzufinden. Denkbar sind beispielsweise Gliederungen der Normen und Suchfilter entsprechend des TOP-Ansatzes (TOP-Ansatz: Technik-Organisation-Personen-Ansatz. Alle Wirkebenen werden abgedeckt, also technische, organisatorische und personelle Gesichtspunkte der Arbeits-, Prozess- und Produktgestaltung) oder angelehnt an die Schritte im Produktentstehungsprozess.
Immer wieder wird in den unternehmerischen Entscheidungsprozessen die Wirtschaftlichkeit einer ergonomischen Maßnahme herangezogen. Praktisch hilfreich wäre neben der Auffindbarkeit zielführender Ergonomienormen auch die Darstellung von Bewertungsverfahren für den wirtschaftlichen Nutzen von Ergonomie in entsprechenden Normen.
Ergonomienormung darf sich nicht ausruhen
Die Gestaltung neuer Arbeitswelten nimmt erheblich an Bedeutung zu. Gefragt sind Ergonomienormen, die den aktuellen Stand der arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse abbilden. Nach Ansicht der Teilnehmer der Workshops betrifft dies insbesondere folgende Felder:
Noch gibt es Unternehmen und Institutionen, die ergonomische Prinzipien nicht systematisch und ganzheitlich berücksichtigen. Die vordringliche Herausforderung für die Ergonomienormung besteht daher darin, die verschiedenen Zielgruppen in den Unternehmen (Führungskräfte, Experten) stärker für die Bedeutung und den Nutzen der Ergonomie zu sensibilisieren.
Prof. Dr.-Ing. Sascha Stowasser
Vorsitzender des NAErg im DIN