KANBrief 3/15
Professor Harri Vainio war von 2003 bis Ende Juli 2015 Generaldirektor des Finnischen Instituts für Arbeitsschutz (FIOH). Er hat sich stets für den Gedanken der europäischen Zusammenarbeit eingesetzt und spielte einen aktiven Part im EUROSHNET-Netzwerk. In diesem Interview macht er die Herausforderungen im Arbeitsschutz deutlich, denen sich Finnland – wie auch andere Länder – in den kommenden Jahren stellen muss.
Welche Entwicklungen werden Ihrer Ansicht nach in den kommenden Jahren starke Auswirkungen auf den Arbeitsschutz in Finnland haben?
Finnland altert. Von 5,5 Millionen Einwohnern sind inzwischen mehr als 1 Million über 65 Jahre alt, bis 2030 werden es 1,5 Millionen sein. Auch in der Erwerbsbevölkerung steigt der Anteil der älteren Beschäftigten. Darüber hinaus wird der finnische Arbeitsmarkt künftig von einer zunehmenden Diversität geprägt sein, da die Zahl der Einwanderer und Auslandsentsandten zunimmt.
Aufgrund dieser demographischen Situation wird erwartet, dass die Menschen länger arbeiten. Da mit dem Alter aber auch gesundheitliche Störungen und chronische Krankheiten zunehmen, sind Gesundheitsprobleme der Hauptgrund für ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vor dem gesetzlichen Rentenalter. Die Herausforderung besteht darin, die Arbeit so zu organisieren und die Arbeitsplätze so zu gestalten, dass arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme vermieden werden und die Menschen in der Lage und motiviert sind, bei guter Gesundheit bis zum Rentenalter zu arbeiten.
Die Arbeitsbedingungen sind in den letzten Jahren komplexer geworden. Hat dies zu Gesetzen, speziellen Plänen, öffentlichen Debatten oder sozialen Verhandlungen geführt?
Die Entwicklung des Arbeitslebens ist und bleibt in Finnland traditionell ein großes politisches und gesellschaftliches Thema. Derzeit wird es im Programm “Arbeitsleben 2020” behandelt, das Ministerien und Sozialpartner gemeinsam durchführen. Die Arbeitsbedingungen sind eines der Themen der Zukunft, allerdings eng verbunden mit Kompetenz, Management und Innovationen.
Was sind die Triebfedern für die Verbesserung des Arbeitsschutzes in Finnland?
Die Arbeitsbedingungen werden sowohl von der gesundheitlichen Warte, d.h. der Lebensqualität der Beschäftigten, als auch der wirtschaftlichen betrachtet, d.h. der Nachhaltigkeit des Rentensystems. Beide hängen eng zusammen, außerdem spielen komplexe wirtschaftliche und soziale Faktoren und Umweltaspekte mit hinein. Es ist häufig die Rede von der Verbindung von guter Arbeit und Produktivität. Gleichzeitig hat die wirtschaftliche Denkweise Einzug in die Gesundheitspolitik gehalten. Wirtschaftlichkeit ist inzwischen das Schlüsselwort bei der Bewertung und Entwicklung des Gesundheitswesens – und auch des Arbeitsschutzes.
Allerdings sollte man in der Zeit des wirtschaftlichen Denkens die Primärprävention nicht vergessen, das heißt die Ausschaltung oder Verringerung der Exposition von Beschäftigten gegenüber giftigen oder anderweitig gefährlichen Stoffen. Bei vielen Präventionsmaßnahmen mag die Wirtschaftlichkeit nicht immer gleich erkennbar sein; langfristig haben sie aber nachhaltigen Einfluss. In den letzten 40 Jahren gab es dafür zahlreiche Beispiele, z.B. die Verringerung der Exposition von Beschäftigten und der breiten Bevölkerung gegenüber Blei dank der Abschaffung von verbleitem Benzin, oder die Verwendung von Schutzausrüstung durch Pflegepersonal beim Umgang mit Alkylantien zur Krebstherapie.
Wie geht Finnland mit dem sensiblen Thema der Arbeitsbedingungen um?
Die starke Tradition des sozialen Dialogs in den nordischen Ländern hilft, das Thema gelassen anzugehen. Die Entwicklung des Arbeitslebens wird in Finnland tripartistisch gesteuert. Natürlich gibt es Interessenskonflikte, die manchmal auch großes Thema in den Medien sind, aber es gibt auch eine Kultur der harten Verhandlungen, die letztendlich zu Lösungen und Vereinbarungen führen.
Der Gedanke, dass “gute Arbeit” mit Produktivität einhergeht, wird sich wahrscheinlich in Zukunft noch weiter durchsetzen und könnte auch außerhalb der nordischen Länder in Europa zu einer positiveren Einstellung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen.
Welche Rolle spielt die europäische und internationale Zusammenarbeit für die Arbeit des FIOH?
In Zeiten der Globalisierung macht auch der Arbeitsschutz nicht an nationalen Grenzen halt. Das FIOH wird daher auch künftig seine Zusammenarbeit mit internationalen, europäischen und nordischen Netzwerken fortsetzen. Ich bin überzeugt, dass wenn wir etwas geben wir auch etwas zurückbekommen, und dass wir durch Zusammenarbeit nur gewinnen können.
Harri Vainio
Ehemaliger Generaldirektor des FIOH