KANBrief 3/13

Digitale Menschmodelle machen Arbeitsmittel und Prozesse ergonomischer

Rechnergestützte Werkzeuge bieten heutzutage zahlreiche Möglichkeiten zur Verbesserung der Ergonomie und damit der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz. Ein Beispiel sind digitale Menschmodelle (DMM), die für die Planung guter Arbeitsmittel und Arbeitssysteme zunehmende Bedeutung erlangen. Für die Zukunft gilt es, sie gebrauchstauglicher zu gestalten und weitere Anwendungsbereiche zu erschließen.

Die virtuelle Planung bietet bei der Konstruktion von Arbeitsmitteln und der Vorbereitung von Arbeitsprozessen die Möglichkeit, Gestaltungsauswirkungen direkt zu ermitteln. Hierzu werden die Arbeitsmittel und Arbeitssysteme zunächst nur im Rechner dargestellt. Ziel ist, die Mensch-Technik-Interaktion hinreichend exakt zu simulieren. Am Markt existieren verschiedene digitale Menschmodelle, die beispielsweise Bewegungsabläufe dreidimensional nachbilden und physische Belastungen ermitteln und bewerten. Der Konstrukteur kann verschiedene Parameter entsprechend dem Nutzerkollektiv einstellen und somit Aussagen zu Erreichbarkeiten, Sichtfeldern etc. untersuchen. Fehlentwicklungen lassen sich so frühzeitig und noch vor der eigentlichen Realisierung vermeiden.

Anwendungsschwerpunkt der Softwaresysteme ist derzeit vor allem die Automobilindustrie. Hier kommen DMM sowohl bei der Produktgestaltung (z. B. PKW-Innenraum, Einund Ausstiegssimulationen) als auch bei der Prozessplanung und Entwicklung von Lösungen für die Montage der Fahrzeuge (z.B. Erreichbarkeitsanalysen) zum Einsatz.

Von der Norm zum Menschmodell

Für zahlreiche Fragen der Konstruktion, beispielsweise zur Festlegung von Sicherheitsabständen, stellen anthropometrische Daten eine wichtige Grundlage dar. Sie finden sich beispielsweise in den Normenreihen DIN 33402 „Ergonomie – Körpermaße des Menschen“ bzw. DIN EN ISO 7250 „Wesentliche Maße des menschlichen Körpers für die technische Gestaltung“. Da diese Normen jedoch nicht alle Daten enthalten, die für die verschiedenen Anwendungsfelder von Menschmodellen benötigt werden, ist ihre direkte Umsetzung zum Teil nur eingeschränkt möglich. Große Softwarehersteller nutzen deshalb häufig kommerzielle Daten, die umfangreicher und aktueller sind und sich leichter in 3-D-Softwareanwendungen integrieren lassen.

Mit der Normenreihe DIN EN ISO 15536 „Ergonomie – Computer-Manikins und Körperumrissschablonen“ sind grundsätzliche Vorgaben zu Menschmodellen erarbeitet worden. Die Norm DIN EN ISO 15537 „Grundsätze für  die Auswahl und den Einsatz von  Prüfpersonen zur Prüfung anthropometrischer Aspekte von Industrieerzeugnissen und deren Gestaltung“ enthält Grundlagen zur Auswahl und Nutzung von Kollektiven zur Bewertung von Arbeitsmitteln und Arbeitssystemen mittels anthropometrischer Daten.

Menschmodelle und Datenaustausch standardisieren

Es bleiben noch weitere Aufgaben für die Zukunft. Eine von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführte Delphi-Studie (Systematisches, mehrstufiges Befragungsverfahren mit Rückkopplung, das dazu dient, zukünftige  Ereignisse, Trends, technische Entwicklungen und dergleichen möglichst gut einschätzen zu können) sieht insbesondere folgenden Bedarf mit direktem Bezug zur Normung (Wischniewski, S.: Digitale Ergonomie 2025 – Ergebnisse einer Delphi-Studie  der BAuA. Siehe Tagungsband „Digitale Ergonomie“, BAuA 2013,  S. 30-46):

  • Entwicklung eines Datenaustauschformates für Menschmodelle (anthropometrische und biomechanische Parameter, Bewegungsdaten etc.), um den Übergang von Forschungsergebnissen in kommerzielle Softwaresysteme zu erleichtern und den wissenschaftlichen Austausch von Simulationsergebnissen zu fördern. Einen ersten Ansatz bietet möglicherweise die Norm DIN EN ISO 15535 „Allgemeine Anforderungen an die Einrichtung anthropometrischer Datenbanken“, die für die Speicherung von anthropometrischen Daten bereits ein Format definiert.
  • Erarbeitung eines genormten Menschmodells (beispielsweise durch Vorgabe der Benennung und Anzahl der mindestens erforderlichen Gelenke sowie ihrer Freiheitsgrade und Orientierung), etwa indem man die Normenreihe DIN EN ISO 15536 weiterentwickelt und konkretisiert.

Eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung von DMM spielt das Technical Committee „Human Simulation and Virtual Environments“ der International Ergonomics Association (IEA). Fachleute tauschen sich hier seit 2011 über neue Entwicklungen aus und analysieren in diesem Zusammenhang auch, welche Ergebnisse in die Normung einfließen sollten.

Digitale Menschmodelle können schon heute einen Beitrag zur Gestaltung sicherer und gesunder Arbeit leisten. Sie sind aufgrund ihrer Komplexität derzeit überwiegend Experten der rechnergestützten Ergonomie vorbehalten. Für die Zukunft ist es wünschenswert, beispielsweise durch eine verbesserte Gebrauchstauglichkeit der Software eine Öffnung dieser Systeme für ein größeres Nutzerfeld (z.B. Konstrukteure) zu erreichen.  

Dr. Sascha Wischniewski
wischniewski.sascha@baua.bund.de