KANBrief 2/17

Arbeitswelt 4.0 - Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung aus Sicht des Handwerks

Das Handwerk ist viel stärker als die Industrie durch menschliche Arbeit geprägt. Eine Vollautomatisierung und Vernetzung sämtlicher Prozesse wie in der Industrie 4.0 wird daher kaum möglich sein. Dennoch bietet die Digitalisierung auch dem Handwerk vielfältige Chancen, die Dienstleistungen zu erweitern, Aufgaben zu automatisieren und die Arbeit einfacher und sicherer zu gestalten.

In Deutschland zählen eine Million Betriebe zum Handwerk und beschäftigen rund 5,36 Millionen Menschen. Das Handwerk ist mit seinen fast 150 Gewerben extrem heterogen: Vertreten sind Kleinstbetriebe ebenso wie mittelständische Unternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitern. Etwa die Hälfte der Betriebe hat weniger als fünf Beschäftigte.

Die Digitalisierung verändert auch im Handwerk ganz maßgeblich Märkte, Geschäftsprozesse und Berufsbilder. In einer Befragung haben ZDH und Bitkom kürzlich untersucht, welche Rolle sie schon heute spielt ( Zentralverband des Deutschen Handwerks / Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien:„Das Handwerk wird digital“). Den größten Vorteil sehen die Handwerksunternehmen in der optimierten Lagerung und Verteilung von Betriebsmitteln, Zeitersparnis und flexiblerer Arbeitsorganisation. Rund ein Viertel der Betriebe nutzt bereits digitale Anwendungen wie Trackingsysteme für die Bestandsverwaltung, 3D-Drucker und -Scanner, Systeme zur vorausschauenden Wartung, Roboter oder Drohnen. Spezielle Software zur Pflege von Kundendaten und Projekten kommt in jedem zweiten Betrieb zum Einsatz.

Chancen und Herausforderungen für den Arbeitsschutz

Dank technischer Hilfsmittel sind zahlreiche Tätigkeiten im Handwerk körperlich nicht mehr so anstrengend wie früher. Die Digitalisierung wird nun zu weiteren Erleichterungen führen:

  • Sensoren in Arbeitsschutzkleidung („Wearables”) können die Körpertemperatur, Puls und Umgebungstemperaturen messen und so frühzeitig vor akuten Gefahren und Überlastung warnen.
  • Dachdecker – gerne als Beispiel für frühzeitigen körperlichen Verschleiß genannt – schonen ihre Gesundheit, wenn eine Drohne das Dach überwacht und somit weder Leiter noch Gerüst nötig sind.
  • Regenrinnen mit Sensoren informieren das Handwerksunternehmen immer über den aktuellen Zustand der montierten Abwasseranlage; nachgelagerte Serviceleistungen (z. B. Reinigung, Wartung, Instandsetzung) werden erleichtert.
  • Baustellen können elektronisch überwacht werden (z. B. durch Webcams), eine ständige persönliche Anwesenheit ist nicht mehr erforderlich.

Diese Maßnahmen ermöglichen, arbeitsbedingte körperliche Belastungen zu vermeiden bzw. Überlastungen rechtzeitig zu erkennen und präventive Maßnahmen einzuleiten. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der Verlängerung der Lebensarbeitszeit und des zunehmend schwerer zu deckenden Fachkräftebedarfs ist es auch im Interesse der Handwerksbetriebe, dass ihre Mitarbeiter möglichst lange gesund und fit bleiben.

Vor allem im verwaltungs- und kaufmännischen Bereich, bei planenden Tätigkeiten und Arbeiten am PC kann die Digitalisierung und elektronische Vernetzung auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Bei vielen klassischen Handwerkertätigkeiten wird aber weiterhin die Präsenz der Beschäftigten beim Kunden, auf der Baustelle, in der Werkstatt oder im Laden notwendig sein. Eine „Entgrenzung von Arbeit”, wie sie von den Gewerkschaften befürchtet wird, ist im Handwerk daher nicht zu erwarten.

Zu den Herausforderungen der Digitalisierung gehört, dass etwa immer neue Vermittlungsplattformen einen Trend zu wachsender Soloselbständigkeit hervorrufen. Diese Soloselbstständigen treten in Konkurrenz gerade auch mit tradierten Handwerksunternehmen. Wenn Soloselbstständige, für die weder arbeitsschutzrechtliche Vorschriften noch etwa eine Pflicht zur Altersvorsorge gelten, in Wettbewerb zu Unternehmen mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten treten, führt dies zu jeweils sehr unterschiedlichen Kostenstrukturen und damit zu Wettbewerbsverzerrungen, die es zu vermeiden gilt.

Eine zentrale Herausforderung wird sein, zu Kompromissen zwischen den Flexibilitätsanforderungen der Unternehmen und den Bedürfnissen der Beschäftigten zu kommen, insbesondere bei der Arbeitszeitgestaltung. Daher unterstützt der ZDH die im „Weißbuch Arbeiten 4.0” („Weißbuch Arbeiten 4.0” (pdf) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales) vorgeschlagenen Experimentierräume, in denen neue Modelle der Arbeit ergebnisoffen erprobt und evaluiert werden. Was wir brauchen, ist ein neuer sozialer Kompromiss, der beide Interessen in Einklang bringt.

Karl-Sebastian Schulte

Geschäftsführer des ZDH