KANBrief 2/19

Von der Schreibstube zum Workspace – Hängt Innovation die Regelsetzung ab?

Diese Frage hat die KAN gemeinsam mit der DGUV am 6. März 2019 beim Dresdner Forum Prävention gestellt. Moderiert von Dr. Norbert Lehmann (ZDF) haben Fachleute aus Wirtschaft, Forschung und Arbeitsschutz diskutiert, ob und wie arbeitsschutzbezogene Forschung, Normung und Regelsetzung es schaffen können, der stark beschleunigten technischen Entwicklung am Arbeitsplatz Büro zu folgen.

Das Publikum diskutierte intensiv mit, angeregt von drei Impulsvorträgen und einem Eröffungsvortrag: 

Dr. Markus Reimann, Leiter des betrieblichen Gesundheitsmanagements bei der Deutschen Bank AG, erläuterte, dass offene, variable und transparente Raumkonzepte eine ausgewogene Balance von Arbeits- und Rückzugsflächen erforderten. Mit „normierter Kreativität“ oder „kreativer Normung“ müsse die Balance zwischen Schutzaspekten und sich schnell wandelnden Raumkonzepten gefunden werden. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz habe eine große Chance, sich als Dienstleister neu auszurichten: Vom Bewerter und Berater hin zu einem „Intrapreneur“, der die Entwicklungen im Unternehmen durch das spezifische Know-How innovativ und präventiv weiterentwickelt.

„Mobiles Arbeiten und dynamische Raumkonzepte werden die gesetzlich geregelte Telearbeit verdrängen“, meinte Prof. Dr. Dieter Lorenz, Professor für Arbeitswissenschaft an der Technischen Hochschule Mittelhessen. Und wenn Mitarbeiter nicht mehr überwiegend im Büro seien, veränderten sich klassische Führungskonzepte und Formen der Zusammenarbeit. Dabei entstünden neue Risiken, denn klassische Arbeitsschutzmaßnahmen erreichen nur noch in Bürohäusern und an festen Arbeitsplätzen ihre Ziele. Arbeits- und Gesundheitsschutz werde künftig vielleicht nicht mehr nur von Spezialisten festgelegt, sondern müsse individuell gestaltet und gelebt werden. Zu befürchten sei dadurch beispielsweise, dass Überlastung oder Muskel- und Skeletterkrankungen zunehmen.

Maximilian Zettlitzer plant bei der if5 design GmbH neue Bürolandschaften und plädierte dafür, zwischen festen und temporären Arbeitsplätzen zu unterscheiden und Abweichungen vom Standard zuzulassen. Mehr Freiheit in der Wahl des Arbeitsplatzes ermögliche z.B. weniger Statik: Es könne nicht die „richtige“ Sitzposition geben, da es ja auch nicht die „falsche“ gibt. Gesetzliche Bestimmungen müssten das neue Spannungsfeld zwischen Statik und Dynamik, festem und temporärem Arbeitsplatz, Vertrauen bzw. Freiheit und einem klassischen Arbeitstag von 9 – 17 Uhr aufgreifen. Um sinnstiftende Bürowelten aus Mensch, Raum und Technik zu schaffen und zu l(i)eben, sei Transparenz und Partizipation auf ganzer Linie erforderlich.

Andreas Stephan, Leiter des Sachgebiets Büro im Fachbereich Verwaltung der DGUV, Mitarbeiter im Arbeitskreis des Ausschusses für Arbeitsstätten zur Erstellung der ASR A6 „Bildschirmarbeit“ und federführend in der Normung zu Büromöbeln aktiv, hielt daraufhin den Hauptvortrag. Nach seiner Auffassung ist es bisher gelungen, existierende Regelungen rechtzeitig auf den Prüfstand zu stellen und zu aktualisieren – dies sei aber eine ständig wachsende Herausforderung.

Erkenntnisse und Herausforderungen

  • Die neuen Bürokonzepte passen nicht für jede Jobkonstellation und für jeden Menschentyp. Viele Änderungen rechnen sich bei genauem Hinsehen noch nicht einmal!
  • In Zukunft gewinnen psychische Fragestellungen, insbesondere bei einer Raumgestaltung ohne fest zugeordneten Arbeitsplatz, sowie Vertraulichkeit von Information und Kommunikation an Bedeutung.
  • Auch wegen der vielfach zu beobachtenden Flexibilisierung von Arbeit und Freizeit erreichen klassische Arbeitsschutzmaßnahmen zukünftig nur noch zum Teil ihre Ziele. Der Anteil, den die Beschäftigten an der Verantwortung für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit haben, wird wachsen. Sie müssen daher noch stärker sensibilisiert, motiviert und qualifiziert werden, und Fachpersonal wie Betriebsärzte muss möglicherweise eine größere Rolle spielen. Individuelle Arbeitsschutzmaßnahmen müssen laufend evaluiert und falls nötig nachgebessert werden.
  • Um Arbeits- und Gesundheitsschutz in den neuen Konzepten individuell leben zu können, benötigen wir auch andere Informationsformen, z.B. Internetkampagnen, Apps, soziale Netzwerke, Fernsehspots.
  • Vorschriften und Regeln müssen in ausreichend kurzen Intervallen auf den Prüfstand gestellt werden, um überholte Regelungen rechtzeitig zu erkennen und zurückzuziehen. Regeln und Normen könnten mithilfe von Cloud, Crowdworking, oder gar unterstützt von künstlicher Intelligenz schneller erarbeitet werden.

Corrado Mattiuzzo
mattiuzzo@kan.de