KANBrief 2/19

Psychische Arbeitsbelastung: Die Normenreihe DIN EN ISO 10075

Die Entwicklung einer speziell die psychische Arbeitsbelastung behandelnden Normenreihe ist unter anderem dadurch begründet, dass sich – im Vergleich zu physischen Arbeitsanforderungen – andere Beanspruchungsfolgen (z.B. Monotonie) und Messzugänge (z.B. Befragung, Beobachtung, etc.) ergeben. Die drei Teile der Norm DIN EN ISO 10075 wollen Orientierung zu zentralen Begriffen, Grundsätzen für die Arbeitsgestaltung und Anforderungen an Messverfahren geben.

Da Normen den von Experten allgemein geteilten Erkenntnis- und Wissensstand zu berücksichtigen haben, werden sie in regelmäßigen Abständen überprüft. So wurden bei der Überarbeitung der DIN EN ISO 10075-1 („Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 1: Allgemeine Aspekte und Konzepte und Begriffe“) die grundlegenden Begriffe und Konzepte erweitert. Dabei blieb das Basiskonzept unverändert, das zwischen der Belastung – als Terminus für alle von außen auf den Menschen einwirkenden Einflüsse – und der Beanspruchung – als Begriff für die in Abhängigkeit von den individuellen Eigenschaften, Fähigkeiten, Fertigkeiten etc. resultierenden Folgen für den Menschen – unterscheidet.

Ebenfalls beibehalten wurde die Differenzierung zwischen förderlichen und beeinträchtigenden Beanspruchungsfolgen. Hier werden nun allerdings auch Effekte mit längerfristigem Potential betrachtet: die Kompetenzentwicklung als förderliche und Burnout als beeinträchtigende Folge. Weiterhin wurden die kurzfristig beeinträchtigenden Wirkungen um die Stressreaktion ergänzt. Mit der Anfang 2018 veröffentlichten DIN EN ISO 10075-1 wurde die Vorgängerversion aus dem Jahr 2000 zusammen mit der nur im deutschen Sprachraum verfügbaren DIN SPEC 33418:2014-03 zurückgezogen.

Durch die Ergänzungen des ersten Normteils entstand die Notwendigkeit, die in der DIN EN ISO 10075-2 (Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 2: Gestaltungsgrundsätze“) beschriebenen Gestaltungsleitsätze anzupassen. Zur Identifikation des Überarbeitungsbedarfs wurde im Dezember 2018 bei DIN ein Workshop durchgeführt, in dessen Rahmen – aus Sicht der Praxis – zunächst über (a) Gestaltungsansätze bei Dienstleistung bzw. Wissensarbeit im Bankbereich, (b) Arbeitsbedingungen und psychische Belastung in der Alten- und Krankenpflege sowie (c) Erfahrungs- und Gestaltungsansätze aus dem gewerblichen Bereich referiert wurde. Daran schlossen sich aus soziologischer Perspektive Überlegungen zum Wandel der Arbeitswelt an, um für die Revision relevante Informationen über mögliche zukünftige Entwicklungen zu erhalten. Bezogen auf die eingangs vorgestellten Bereiche wurde dann diskutiert, welche der in der aktuellen DIN EN ISO 10075-2 beschriebenen Gestaltungsgrundsätze weiterhin handlungsleitend und welche zu ergänzen sind sowie welche entfallen könnten. Die auf diese Weise gewonnenen Hinweise und Vorschläge stellen eine für die Überarbeitung der Norm wichtige Basis dar.

Zur Messung der psychischen Beanspruchung steht ein großes Spektrum an Verfahren zur Verfügung, die sich in der Art der Datenerhebung (z.B. Beobachtung, Befragung, physiologische Messung), ihrem jeweiligen Anwendungsbereich (Branchen, Organisationsebenen, Berufsgruppen, Tätigkeitsklassen) oder auch in ihrer jeweiligen theoretischen Fundierung unterscheiden. Die DIN EN ISO 10075-3 („Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 3: Grundsätze und Anforderungen an Verfahren zur Messung und Erfassung psychischer Arbeitsbelastung“) definiert die für die Beurteilung der Messeigenschaften von Instrumenten relevanten Kriterien (Reliabilität, Validität, Objektivität, etc.). Dabei hängt das jeweils zu erreichende Niveau vom Zweck der Messung ab. So bestehen die höchsten Anforderungen dann, wenn zuverlässige und gültige Angaben im Rahmen z.B. von geplanten Arbeitsgestaltungsmaßnahmen angestrebt werden, also eine Präzisionsmessung beabsichtigt ist. Interessiert dagegen eine Gesamtübersicht (Screening) zur Identifikation von belastungsbezogenen Problembereichen, genügt ein mittlerer Präzisionsgrad. Um mit begrenztem Aufwand einen ersten, allgemeinen Überblick über die auftretende Arbeitsbelastung und Beanspruchung zu gewinnen, reichen Verfahren mit niedriger Präzision. Darüber hinaus macht die Norm Aussagen dazu, welche Informationen im Rahmen der Entwicklung eines Verfahrens zu dokumentieren sind und welche Angaben das Messprotokoll beinhalten soll.

Das bei der Modifikation der DIN EN ISO 10075-er Reihe gewählte Vorgehen hat sich bewährt. Zunächst waren die grundlegenden Begriffe und Konzepte (Teil 1) zu prüfen und zu überarbeiten, weil die dabei vorgenommenen Erweiterungen und Änderungen entsprechende Überarbeitungen bei den Gestaltungsgrundsätzen notwendig machen. Eine Überarbeitung von Teil 3 steht aktuell noch nicht an, weil die Revision des Teils 2 dazu erst abgeschlossen sein sollte.

Prof. Dr. Martin Schütte
schuette.martin@baua.bund.de