KANBrief 3/23

Reform des EU-Produkthaftungsrechts

Die EU-Kommission hat im Herbst 2022 eine Modernisierung der EU-Produkthaftungs­regelungen angestoßen. Nachdem sie Entwürfe für eine novellierte Produkthaftungs­richtlinie und eine neue KI-Haftungsrichtlinie veröffentlicht hat, beschäftigen sich EU-Minister­rat und Parlament damit nun intensiver.

Der Übergang in das digitale Zeitalter macht eine Anpassung nicht nur der Rechtsvorschriften für das Inverkehrbringen, sondern auch des Haftungsrechts erforderlich. Die alte Produkthaftungsrichtlinie, immerhin von 1985, die in Deutschland 1989 mit Erlass des Produkthaftungsgesetzes umgesetzt wurde, ist nicht mehr in der Lage, alle durch Produkte verursachten Schäden abzudecken. Resultat sind Rechtsunsicherheiten für Unternehmen und eine zunehmende Anzahl von Produkten, bei denen der Verbraucher keinen Rechtsanspruch auf Kompensationen für durch das Produkt verursachte Schäden hat (Evaluierungsstudie und Richtlinien­vorschläge). Daneben soll die Richtlinie an die kürzlich aktualisierte Produktsicherheitsverordnung und an die Marktüberwachungsverordnung angeglichen werden.

Mehr Produkte und Schadensfälle im Fokus

Es ist davon auszugehen, dass die neue Produkthaftungsrichtlinie auf alle Arten von Produkten anwendbar sein wird – auch solche, die bisher nicht erfasst waren. Darunter fallen dann z.B. auch smarte Produkte, Softwareupdates, KI-Systeme und digitale Services, aber auch wiederaufbereitete Produkte und solche, die wesentlich modifiziert wurden. Hersteller der Kreislaufwirtschaft werden jedoch nicht für Schäden haften müssen, die durch nicht-modifizierte Teile des Produktes entstanden sind.

Bei Produkten aus Drittstaaten, die z.B. per Onlinehandel direkt von Verbrauchern in die EU importiert werden, werden Haftungsansprüche ausgeweitet. Zusätzlich zu den derzeit haftenden Importeuren gelten sie künftig für Herstellervertreter und weitere Akteure wie Online-Plattformen, die in der EU ansässig sind. Zudem sind prozessrechtliche Änderungen vorgesehen: Um die Informationsasymmetrie zwischen Hersteller und Verbraucher zu verringern, können die Wirtschaftsakteure zur Offenlegung von Beweismitteln verpflichtet werden. Insgesamt wird es eine deutliche Beweiserleichterung zu Gunsten der Geschädigten geben, jedoch ohne dass es zu einer Beweislastumkehr kommt. Die bisher vorgesehenen Grenzen zu Haftungshöchstbetrag und Selbstbeteiligung fallen im Entwurf weg.

Angepasste Haftungsregelungen

Ersatzansprüche auf Grundlage des Entwurfs der Produkthaftungsrichtlinie entstehen nur bei Personenschaden (einschließlich psychischer Gesundheitsschäden), Sachbeschädigung und Datenverlust. Es handelt sich um eine strenge Produkthaftung, die verschuldensunabhängig gegen den Hersteller und weitere Wirtschaftsakteure greift. Ansprüche können nur von natürlichen Personen geltend gemacht werden und auch nur, wenn das Produkt nicht ausschließlich für berufliche Zwecke genutzt wird.

Neue KI-Haftungsrichtlinie ergänzt den Rechtsrahmen

Begleitet werden soll die neue Produkthaftungsrichtlinie durch eine KI-Haftungsrichtlinie. Sie soll es Geschädigten im Falle von Schäden durch KI-Systeme deutlich erleichtern, ihre Ansprüche auf einer anderen Rechtsgrundlage als dem Produkthaftungsrecht geltend zu machen, z.B. bei Grundrechtsverletzungen oder zivilrechtlichen Haftungsregelungen.

Um eine Rechtzersplitterung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu verhindern, soll ein harmonisierter Rechtsrahmen für die Haftung von Herstellern, Betreibern oder Nutzern von Künstlicher Intelligenz vorgegeben werden. Es ist vorgesehen, dass bei Schadensfällen die KI als verursachend angenommen wird. Geschädigte müssen dann nur noch zeigen, dass Anbieter, Betreiber oder Nutzer der KI eine relevante Verpflichtung schuldhaft nicht eingehalten haben und ein Kausalzusammenhang wahrscheinlich ist. Zudem sollen die Hersteller oder Zulieferer von Hochrisiko-KI verpflichtet werden, im Falle eines Prozesses alle relevanten Produktinformationen bereitzustellen.

Die KI-Haftungsrichtlinie allein bietet noch keine rechtlichen Schadenersatzansprüche, sondern sie ergänzt bestehende nationale verschuldensabhängige Haftungsregelungen bei Rechtsverletzungen durch KI. Die neuen, verschuldensabhängigen Haftungsregelungen erlauben eine vereinfachte Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, auf die sich alle natürlichen und juristischen Personen berufen können.

Verhandlung in den EU-Institutionen

Der EU-Ministerrat hat sich bereits mit dem Kommissionsentwurf der Produkthaftungsrichtlinie befasst und stimmt diesem weitgehend zu. Die Diskussion im Europäischen Parlament ist ebenfalls angelaufen, wird aber noch einige Monate in Anspruch nehmen. Die KI-Haftungsrichtlinie soll erst in einem zweiten Schritt verhandelt werden.

Freeric Meier
meier@kan.de