KANBrief 3/22

Bauprodukte: Sicherheit darf kein optionales Extra sein

Die Bauprodukteverordnung (EU-BauPVO) vom 9. März 2011 legt harmonisierte Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten in der EU fest. Die Verordnung wird nun grundlegend überarbeitet und soll besser an die aktuellen Bedürfnisse des Marktes angepasst werden. Ein wichtiger Schritt für den Arbeitsschutz ist, dass der Entwurf jetzt auch Anforderungen an die Produktsicherheit vorsieht und die Verordnung damit Anschluss an die anderen europäischen Rechtsakte zum Binnenmarkt finden würde.

Bislang ist die Produktsicherheit bei Bauprodukten auf europäischer Ebene nur über sehr offene rechtliche Vorgaben geregelt. So deckt die europäische Richtlinie zur Allgemeinen Produktsicherheit (RaPS) nur die Sicherheit von Verbrauchern ab, nicht aber die große Gruppe der am Bau tätigen Personen. Ein großer Nachteil ist vor allem, dass sie für Bauprodukte keine Wirkung entfaltet hat. Somit stehen Herstellern kaum Vorgaben zur Verfügung, wie sie ihre Produkte sicher gestalten können. Sie müssen auf eigene Initiative und Kosten tätig werden. In der Praxis läuft die Sicherheitsanforderung der RaPS daher oftmals ins Leere. Deutlich wird dies etwa am Beispiel der Dachlichter, bei denen allein in Deutschland jährlich mehrere Todesfälle durch Stürze in die Tiefe verzeichnet werden. Hier haben bisher weder die allgemeine Produktsicherheit noch die in der aktuellen Bauprodukteverordnung niedergelegte Anforderung an die Nutzungssicherheit zu ausreichender Sicherheit geführt.

Produktsicherheit ist ein Muss

Bislang bezogen sich die Anforderungen der Verordnung ausschließlich auf das fertige Bauwerk und nur davon abgeleitet auf das Bauprodukt. Im aktuellen Entwurf zur Überarbeitung der Verordnung (englisch) wurden nun in Anhang I B/C/D Anforderungen zur Funktionalität, Sicherheit, Umweltverträglichkeit, Kreislaufwirtschaft der Produkte und zu den Informationspflichten der Inverkehrbringer ergänzt. Mit der Aufnahme dieses umfangreichen Kataloges von produktinhärenten Anforderungen, die sich ausschließlich auf das Bauprodukt beziehen, vollzieht die EU-Kommission einen deutlichen Paradigmenwechsel gegenüber früheren Verordnungen.

Dieser Schritt ist aus verschiedenen Gründen dringend notwendig. Die EU-BauPVO weist in Bezug auf das in Art. 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) geforderte hohe Schutzniveau für Gesundheit und Sicherheit bislang eine eklatante Rechtslücke auf, indem sie Sicherheitsanforderungen an die Produkte selbst ausklammert. Dies ist in hohem Maße inkonsistent, da auch nationale Gesetze der EU-Mitgliedsstaaten an verschiedenen Stellen auf den hohen Stellenwert des Schutzes der Gesundheit verweisen. Hinzu kommt, dass die Baubranche besonders unfallträchtig ist und eine Ausklammerung der Produktsicherheit das Problem verschärft.

Der Vergleich mit anderen Produktbereichen zeigt, dass etwa komplexe Maschinen und Anlagen umfangreiche Anforderungen erfüllen müssen und auch bei hochkomplexen KI-Systemen derzeit angestrebt wird, diese mit geeigneten Sicherheitsanforderungen zu untersetzen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum es in der Bauprodukteverordnung gerechtfertigt sein sollte, die Sicherheit der Produkte selbst nicht zu behandeln. Vieles spricht eher dafür, dass gerade Bauprodukte eher einfach mit den notwendigen Sicherheitsmerkmalen ausgestattet werden könnten.

Die Kostenfrage

Die von manchen Herstellerverbänden pauschal ins Feld geführten hohen Kosten sind bei näherer Betrachtung nicht nachzuvollziehen, denn – vermutlich eher moderate – zusätzliche Kosten entstehen nur für solche Bauprodukte, bei denen tatsächlich ergänzende Anforderungen zur Produktsicherheit erforderlich werden. Wichtig ist, dass das Thema Produktsicherheit in zeitgemäßer Form aufgegriffen wird.

Im Umkehrschluss gilt vielmehr, dass fehlende Produktsicherheit zu nicht unerheblichen Kosten führen kann. Private, handwerkliche und industrielle Anwender von Bauprodukten sind angesichts knapper werdender Personalressourcen mehr denn je darauf angewiesen, dass Produkte sicher zu nutzen sind. Da Krankheit und Fehlzeiten – abgesehen vom menschlichen Leid – auch die Firmenbilanzen belasten, begrüßen gerade auch die anwendenden Unternehmen Regelungen, die zu mehr Sicherheit führen. Dies gilt ebenfalls für die Unfallversicherungsträger, die im Falle nicht sicherer Produkte zum Teil enorme Folgekosten für Unfälle und Krankheiten tragen müssen, die durch die Einführung von Produktsicherheitsstandards vermeidbar wären.

Delegierte Rechtsakte allein nicht geeignet

Die Berücksichtigung der Produktsicherheit im Entwurf der EU-BauPVO stellt aus Sicht des Arbeitsschutzes einen großen Fortschritt gegenüber der bisherigen Regelung dar. Allerdings sieht der Verordnungsentwurf vor, dass diese technischen Anforderungen erst dann gelten, wenn die Europäische Kommission delegierte Rechtsakte erlassen hat. Diese legen Anforderungen für einzelne Produktfamilien und -kategorien sowie entsprechende Prüfverfahren fest und bilden die Grundlage für Normungsaufträge. Zur Erhöhung der Verbindlichkeit ist es dringend erforderlich, dass der Entwurf um eine unmittelbar anzuwendende allgemeine Anforderung an die Produktsicherheit ergänzt wird (mit Verweis auf Anhang I). So würde die Normung in den Stand versetzt, zeitnah und ohne den gesonderten Abstimmungsprozess für einen delegierten Rechtsakt zu reagieren.

Delegierte Rechtsakte stellen überdies aus Sicht des Arbeitsschutzes kein angemessenes Rechtsinstrument dar, um in grundsätzlicher Art über die Berücksichtigung der Produktsicherheit zu entscheiden. Sollte kein delegierter Rechtsakt erlassen werden, fehlen damit auch die Anforderungen an die Produktsicherheit. In Anlehnung an die Praxis anderer Verordnungen sollte dieses Instrument eher zur Ergänzung und Nachsteuerung bestimmter Anforderungen eingesetzt werden.

Michael Robert
robert@kan.de

KAN-Position

Die KAN hat zum Entwurf der Bauprodukteverordnung eine gemeinsame Position erarbeitet, die sie in die weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene einbringen wird. Sie geht darin vor allem auf die Rolle der delegierten Rechtsakte ein und fordert, dass die Produktsicherheitsanforderungen so in der Verordnung verankert werden, dass sie unmittelbar in Normungsaufträge und Normen umgesetzt werden können.

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