KANBrief 2/22

Die neue EU-Normungsstrategie – Wegweiser für die Zukunft der Normung in Europa

Am 2. Februar 2022 wurde die mit Spannung erwartete EU-Normungsstrategie veröffentlicht.

In der Erarbeitungsphase der EU-Normungsstrategie hat die Europäische-Kommission die interessierten Kreise aufgerufen, ihre Wünsche für die Zukunft der Normung zu äußern. Auch die KAN hat sich an diesem Prozess beteiligt und einen ausführlichen Beitrag eingereicht. Im Rahmen der EU-Normungsstrategie wurden vier Dokumente veröffentlicht, deren Hauptteil die Politische Mitteilung der EU-Kommission darstellt.

Einrichtung neuer Institutionen

Die sichtbarste Maßnahme der EU-Normungsstrategie ist die geplante Schaffung zweier neuer Institutionen. Im hochrangigen Forum kommen Mitgliedsstaaten, die europäischen und nationalen Normungsorganisationen, Industrie, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammen. Es soll dabei unterstützen, die Prioritäten für das jährliche Arbeitsprogramm für die europäische Normung festzulegen und in Normungsfragen Empfehlungen an die Europäische Kommission geben. Zugleich soll es die europäischen Normungsinteressen koordinieren und gegenüber Dritten vertreten.

Das EU-Exzellenzzentrum für Normen soll Fachwissen bündeln und nutzbar machen. Kernaufgaben werden die Antizipierung des Normungsbedarfes, die Unterstützung der Normungsarbeit in vorrangigen Bereichen und die Beobachtung der internationalen Normungsaktivitäten sein. Außerdem wird ein Leitender Normungsbeauftragter ernannt, welcher das Zentrum steuern und die Normungstätigkeiten mit den politischen Zielen und strategischen Interessen der EU abstimmen soll. Bei der Position handelt es sich um ein politisches Amt, vergleichbar mit einem Staatssekretär.

Die Zukunft des europäischen Normungssystems

Eines der durch die KAN eingebrachten Anliegen ist eine beschleunigte Veröffentlichung der Titel harmonisierter Normen im Amtsblatt der EU – ein wesentlicher Schritt, damit Normen die sogenannte Vermutungswirkung auslösen. Hersteller können bei Anwendung dieser harmonisierten Normen davon ausgehen, dass sie die entsprechenden Anforderungen der zugrundeliegenden europäischen Richtlinie oder Verordnung erfüllen. Diese Listung im Amtsblatt nimmt derzeit deutlich zu viel Zeit in Anspruch. Die verzögerte Veröffentlichung als harmonisierte Norm führt zu Rechtsunsicherheit. Die EU-Kommission stellt fest, dass der Trend bereits positiv ist, strebt aber an, die Zeitspanne zwischen Verabschiedung und Veröffentlichung weiter zu verkürzen.

Die Normungsstrategie sieht zudem vor, dass die europäischen Normungsorganisationen (ENOs) harmonisierte Normen nach der Annahme des Normungsauftrags schneller erarbeiten und der Kommission vorlegen. Lösungen und Ziele zur schnelleren Entwicklung und Annahme von Normen sollen in Zusammenarbeit mit den ENOs, also CEN, CENELEC und ETSI, erarbeitet werden. Jedoch fehlt es in der Strategie an konkreteren Maßnahmen.

Darüber hinaus wird eine Modernisierung der internen Strukturen und Prozesse der ENOs angestrebt. Dies zielt insbesondere auf spezifische Regelungen bei ETSI ab, die zu einer nicht-proportionalen und intransparenten Vertretung samt Stimmrechten von multinationalen Unternehmen führen. Der Änderungsvorschlag zur Normungsverordnung sieht nun u.a. vor, dass ausschließlich den Delegierten der nationalen Normungsorganisationen die grundsätzlichen Entscheidungsbefugnisse zukommen. Zudem sollen die ENOs Vorschläge machen, wie kleine und mittlere Unternehmen, Zivilgesellschaft und Nutzer besser einbezogen werden können.

Dienstleistungen

Die Normung von Dienstleistungen breitet sich international stark aus, weshalb diese im Beitrag der KAN explizit angesprochen wurde. Dienstleistungen sind im Gegensatz zu Produkten viel mehr an den regionalen, kulturellen und sozioökonomischen Kontext gebunden. Es besteht Konfliktpotential mit nationalen Regelungsbefugnissen, beispielsweise im Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes oder der Gestaltung von Arbeitsbedingungen und -organisation. Im Falle von harmonisierten Dienstleistungsnormen sollte der Fokus deshalb auf der Qualität der Dienstleistung liegen. Anforderungen an den Arbeitsschutz oder die Bedingungen und Organisation der Arbeit sind strikt zu vermeiden.

Strukturelle Aspekte der Dienstleistungsnormung werden in der Normungsstrategie jedoch nicht behandelt. Im Blick hat man vielmehr das generelle Vorantreiben der Dienstleistungsnormung, die derzeit nur 2 % der europäischen Normen ausmacht. Besonders im fortschrittlich verarbeitenden Gewerbe sollen vermehrt Dienstleistungsnormen erarbeitet werden, beispielsweise für ein Lieferkettenmanagement oder für die vorausschauende Wartung in vernetzter Fertigung. Auch das Baugewerbe soll von mehr Dienstleistungsnormen profitieren. Hier hat man Architektur und Ingenieurwesen sowie energieeffizientes Bauen im Blick.

Die Internationalisierung der europäischen Normung

Dass Normen zunehmend direkt bei ISO erarbeitet werden, hat erheblichen Einfluss auf die europäische Normung. Aus Sicht der KAN ist es wichtig, dass ein hohes Sicherheitsniveau erhalten bleibt. Normung sollte deshalb unbedingt konsensbasiert bleiben und demokratischen Prinzipien folgen. Das schließt eine ausreichende Beteiligung aller am Arbeitsschutz interessierten Kreise ein.

Die EU-Normungsstrategie erkennt diese Herausforderungen ebenfalls. Staaten wie China sind zurzeit deutlich energischer im internationalen Normungsgeschehen aktiv. Die EU muss dort mit gewichtiger Stimme auftreten, sonst sind Grundwerte wie demokratische Prozesse und Pluralismus in der Normung gefährdet und die Ziele einer digitalen und grünen Wirtschaft könnten verfehlt werden. Ziel ist es, einen strategischen Ansatz der EU und der Mitgliedstaaten zu etablieren, um auch die Position der EU als Vorreiterin bei Schlüsseltechnologien zu sichern.

Freeric Meier
meier@kan.de