KANBrief 2/22

Europäischer Gewerkschaftsbund – die Stimme der Arbeitnehmer in der Normung

Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) mit Sitz in Brüssel vertritt als Dachverband rund 90 nationale Gewerkschaftsbünde aus 39 Ländern und 10 europäische Gewerkschaftsverbände mit insgesamt mehr als 45 Millionen Mitgliedern. EGB-Bundessekretärin Isabelle Schömann spricht im Interview über die besondere Rolle, die dem EGB in der Normung zukommt.

Der EGB ist eine offiziell anerkannte Organisation nach Anhang III der EU-Verordnung zur europäischen Normung. Wie bringen Sie sich konkret in die Normung ein?

Auf Grundlage der Normungsverordnung (1025/2012) ist der Europäische Gewerkschaftsbund in vielen politischen und technischen Gremien und Ausschüssen der europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC und ETSI direkt vertreten. Damit ist der EGB nicht mehr auf Informationen aus zweiter Hand von den nationalen Normungsorganisationen angewiesen, die Mitglied von CEN und CENELEC sind. Aufgrund der Informationen aus erster Hand kann der EGB neue Normungsprojekte, die sich unmittelbar auf die Beschäftigten auswirken, rechtzeitig erkennen. Durch die direkte Beteiligung an der Normungsarbeit können wir außerdem an neuen Normungsvorschlägen mitwirken, wie z. B. an der europäischen Norm für Friseurhandschuhe.

Darüber hinaus beteiligt sich der EGB an mehreren Arbeitsgruppen der Europäischen Kommission, wie dem „Ausschuss für Normen“ oder der „Multi-Stakeholder-Plattform für Informations- und Kommunikationstechnologie“. Außerdem bringen wir uns zum Inhalt der Normungsaufträge der Europäischen Kommission an die europäischen Normungsorganisationen ein. Hier findet zur Abstimmung innerhalb der Europäischen Kommission immer auch eine formale Konsultation der gesellschaftlichen Interessenträger statt.

Der EGB vertritt Gewerkschaften in einer Vielzahl verschiedener Sektoren. Welche Normungsthemen waren in den vergangenen Monaten besonders wichtig?

Der EGB konzentriert sich auf Normungsthemen, die die Beschäftigten unmittelbar betreffen – und zwar sowohl auf europäischer Ebene bei CEN als auch auf internationaler Ebene bei ISO. Die Bandbreite der Themen ist in der Tat sehr groß. Wir beschäftigen uns mit Normen zur Sicherheit von Leitern, zum öffentlichen Beschaffungswesen, zur Luftqualität in Flugzeugkabinen, zum Personalmanagement, zu sozialer Verantwortung und zu psychosozialen Risiken, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Im Zuge des ökologischen und digitalen Wandels verwendet der EGB viele Ressourcen auf das Thema Künstliche Intelligenz (KI), und hier ganz besonders auf die Normung, da viele harmonisierte KI-Normen die geplante europäische KI-Verordnung konkretisieren werden. Da viele dieser KI-Normen wahrscheinlich von der internationalen ISO-Ebene auf die europäische Ebene übernommen werden, ist der EGB sowohl in den europäischen als auch den internationalen Normungsgremien aktiv.

Es ist jedoch nicht immer einfach, die wirklich relevanten Normungsaktivitäten zu erkennen: Allein aus dem Titel und dem Anwendungsbereich ist nicht immer ersichtlich, ob der eigentliche Inhalt der Norm direkte Auswirkungen auf die Arbeitnehmer hat oder nicht.

Die EU versteht die Normung zunehmend als politisches Instrument, um ihre Interessen in der Welt geltend zu machen. Wo liegen die Herausforderungen für Ihre Arbeit auf internationaler Ebene?

Die Normung ist ein Ökosystem aus nationalen, europäischen und internationalen Normungsgremien, die zusammenarbeiten. Dabei kommt den nationalen Normungsgremien eine entscheidende Rolle zu, da sie das Stimmrecht bei CEN und CENELEC haben. Die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 über die Normung gilt jedoch nicht für die internationale Ebene. Gleichzeitig führt der Grundsatz des Vorrangs internationaler Normen vor europäischen Normen dazu, dass de facto viele internationale Normen als europäische Normen übernommen werden.

Der EGB vertritt die Auffassung, dass man internationale Normen in Europa nicht einfach übernehmen darf, sondern darauf achten muss, dass gerade die Rechtsvorschriften der EU vollständig eingehalten werden. Der EGB fordert, sich vom Grundsatz der Vorrangstellung internationaler Normen zu lösen und die Wiener Vereinbarung zu überprüfen. Es muss gewährleistet sein, dass die Rechtmäßigkeit und die Vereinbarkeit internationaler Normen mit dem EU-Recht zuverlässig geprüft wird, bevor sie auf EU- und nationaler Ebene angewendet werden. Wenn international erarbeitete Normen ihren Weg in das europäische System finden sollen, müssen die Anforderungen der EU-Normungsverordnung erfüllt sein. Dazu gehört unter anderem, dass Gewerkschaften und andere relevante Interessengruppen die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen und aktiv mitzuarbeiten.

Was hat der EGB mit seiner Arbeit bisher erreicht, und welche Ziele haben Sie für die Zukunft?

Seit 2015 ist der EGB zweigleisig unterwegs: Zum einen haben wir die Stimme der Arbeitnehmer in der europäischen Normung als unverzichtbare Referenz gut in Position gebracht und die Rolle der Gewerkschaften im System gefestigt. Zum anderen hat der EGB mehr Mittel darauf verwendet, den Gewerkschaften die Normung näher zu bringen: Wir wollen, dass die nationalen Gewerkschaften relevante Normungsthemen besser verstehen und sich damit auseinandersetzen. Außerdem möchten wir den fachlichen Input zu verschiedenen Normen koordinieren, den Gewerkschaften Schulungen anbieten und sie für die Bedeutung der Normung sensibilisieren.

Dank dieser Aktivitäten haben die EGB-Mitgliedsgewerkschaften nun ein klareres Bild von der Welt der Normung und verstehen, welch positiven Einfluss Normen beispielsweise auf den Arbeitsschutz haben können. Gleichzeitig mahnt der EGB regelmäßig zur Wachsamkeit, damit die Normungsaktivitäten nicht in die besonderen Rechte und Regelungsbereiche der Gewerkschaften eingreifen.

Eine große Herausforderung für den EGB und seine Mitglieder ist der Aufbau von Fachwissen innerhalb der Gewerkschaften, denn diese können mit ihren breiten Fähigkeiten und Kenntnissen einen wertvollen Beitrag zur fachlichen Diskussion in den Normenausschüssen leisten. Dies gilt insbesondere für neue Bereiche wie die Informations- und Kommunikationstechnologie.

Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die weitere Arbeit des EGB!