KANBrief 2/22

Künstliche Intelligenz durchdringt Arbeits- und Lebenswelten

Die Bundesregierung will KI „zum Wohle aller“ nutzen. Auch auf den Arbeitsschutz wirkt sich die Technik aus.

Künstliche Intelligenz (KI) gilt als Schlüsseltechnologie des Digitalzeitalters. Auf eine allgemeingültige Definition von KI konnte sich die Fachwelt bisher jedoch nicht einigen. Einige betrachten sie als ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der automatisierten Analyse großer Datenmengen (Big Data), dem Maschinellen Lernen und darauf aufbauend mit dem „intelligenten“ Verhalten von Maschinen wie Robotern befasst. Andere rechnen auch nicht-datengetriebene und weniger komplexe Systeme der KI zu. So oder so sind die Erwartungen groß: KI-Systeme wie etwa selbstfahrende Autos sollen über wahrnehmende Sensoren verfügen, sich mit ihrer Umgebung austauschen und dem Menschen Entscheidungen abnehmen.

Nach Ansicht vieler Fachleute sind den Einsatzmöglichkeiten von KI kaum Grenzen gesetzt. Daher ist seit einigen Jahren ein Hype um die Technik entstanden, die schon seit Jahrzehnten entwickelt und bereits die ein oder andere Durststrecke („KI-Winter“) mit stark nachlassender Forschungsförderung durchlebt hat. Achim Berg, Präsident des IT-Verbands Bitkom, bezeichnet sie trotzdem als „neue Stunde null“ für die Industrie und die Gesellschaft. Er fordert: „Es muss uns gelingen, die vielfältigen Chancen der KI für alle Lebensbereiche nutzbar zu machen – von der Medizin über die Mobilität bis zur Bildung“. Mit der praktischen Anwendung der Algorithmen-getriebenen Technik ist es nämlich noch nicht so weit her.

Regierungen haben sie trotzdem als maßgeblichen Faktor entdeckt. Es ist ein Wettlauf um die globale Führungsposition entbrannt. Spätestens seit der Publikation der KI-Strategie der US-Regierung 2016 suchen auch andere Länder nach Wegen, um Forschung und Entwicklung nebst der Kommerzialisierung der Technologie zu fördern sowie zu den „KI-Weltmächten“ USA und China aufzuschließen.

Die Bundesregierung veröffentlichte im Juli 2018 ein Eckpunktepapier für eine KI-Strategie. Darin stellte sie fest: „Künstliche Intelligenz hat in den letzten Jahren eine neue Reifephase erreicht und entwickelt sich zum Treiber der Digitalisierung und Autonomer Systeme in allen Lebensbereichen.“

Ende 2018 verabschiedete das Bundeskabinett seine nationale Strategie für Künstliche Intelligenz und hat diese 2020 noch einmal umfänglich aktualisiert. Die Strategie beschreibt verschiedene Wege, um KI „Made in Germany“ an die Weltspitze zu bringen und als global anerkanntes Gütesiegel zu etablieren. „Es geht um individuelle Freiheitsrechte, Autonomie, Persönlichkeitsrechte, die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen. Um Hoffnungen, Ängste, Potenziale und Erwartungen. Es geht aber auch um neue Märkte für deutsche Unternehmen, den weltweiten Wettbewerb [...] und um die Zukunft Deutschlands als Industriestandort.“

Die Regierung hat sich so vorgenommen, eine „verantwortungsvolle und gemeinwohlorientierte Entwicklung und Nutzung von Kl“ zu ermöglichen. Drei Milliarden Euro sollen dafür bis einschließlich 2025 zur Verfügung stehen. Mit dem Plan sollen schnell und nachhaltig in Anwendungen investiert und zusätzlich private Geldflüsse ausgelöst werden: „Ob in der Medizin- oder Umwelttechnik, der Produktion, den Dienstleistungsbranchen, am Arbeitsplatz oder als App im Smartphone: KI hat das Potenzial, das Leben aller Menschen innovativer, intelligenter, individueller zu machen.“

Die Bundesregierung setzt sich zum Ziel, den mit der Technologie einhergehenden Innovationsschub „zum Wohle aller umfassend zu nutzen“. Eine zunehmende Mensch-Maschine/Computer-Interaktion mache es nötig, höchste Sicherheitsstandards einzuhalten: Hard- und Softwarehersteller müssten diese direkt in ihre Produkte einbauen. Erklärbarkeit und Transparenz von KI seien der Schlüssel für Vertrauen in die Technik.

KI werde künftig in immer mehr Bereichen unserer Lebenswelten eine relevante Rolle spielen, konstatiert 2020 eine vom Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission. In ihrem Abschlussbericht heißt es: „So erkennen KI-Systeme Sprachanweisungen, filtern Spammails heraus, erkennen Bilder, sortieren Suchergebnisse, korrigieren Schreibfehler und schlagen Produkte vor. Sie übersetzen Texte und spielen Go oder Schach, letzteres schon lange besser als ein Mensch.“ Die Technik steuere Staubsaugerroboter, Fahrassistenzsysteme und ganze Fertigungsanlagen. Sie helfe Medizinern zunehmend bei der Diagnose und bei der Auswahl der individuell besten Therapie.

KI in der Arbeitswelt

Ein eigenes Kapitel des Berichts ist der Arbeitswelt gewidmet. KI eröffne Chancen für Beschäftigte: Gefährliche, körperlich schwere und immer wiederkehrende Arbeiten könnten reduziert werden und KI-Systeme Menschen bei der Lösung komplexer Aufgaben unterstützen. Es bestehe aber „ein schmaler Grat zwischen der Unterstützung menschlicher Tätigkeiten und Formen der Einschränkung der Entscheidungsautonomie“.

Zur medial viel diskutierten Frage, ob der Einsatz von KI-Systemen Arbeitsplätze gefährdet, hält sich die Enquete-Kommission bedeckt. Belastbare Forschungsergebnisse gebe es dazu nur wenige. Bisherige Automatisierungswellen hätten aufgrund von kompensierenden Wachstumsimpulsen „nicht zu großen Nettoverlusten bei der Beschäftigung geführt“. Nun betreffe der Einsatz von KI aber auch Bereiche kognitiv anspruchsvoller Arbeit, „die sich in der Vergangenheit als relativ automatisierungsresistent erwiesen haben“. Damit könnte KI zur Lösung des Fachkräfteproblems beitragen. Denkbar ist, dass die Beschäftigung aufgewertet wird und diejenigen Felder automatisiert werden, die ohnehin nur noch schwierig oder unter problematischen Arbeitsbedingungen durch menschliche Arbeit abzudecken sind. Möglicherweise entsteht aber auch ein Missverhältnis auf dem Arbeitsmarkt, wenn bestimmte Arbeitsplätze wegfallen, aber für die im KI-Bereich neu entstehenden Tätigkeiten nicht genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen.

Auch der Schutz der Persönlichkeitsrechte, die Organisation von Mitbestimmung, Transparenz und Vertrauenskulturen werden vom Einsatz lernender Maschinen berührt, ist dem Bericht zu entnehmen. Anwender auf Seiten der Arbeitgeber wie der Beschäftigten sowie Verbände und Gewerkschaften sollten daher gemäß dem Prinzip „Gute Arbeit by Design“ bereits bei der Definition der Ziele und Konfiguration von KI-Systemen „ebenso wirksam mitgestalten können wie bei der Evaluation, dem Betrieb und der Fortentwicklung der sozio-technischen Einsatzbedingungen“. Das Gremium fordert einen einfachen Zugang zu Weiterbildungs- und Beratungsangeboten, um die eigene KI-Kompetenz ausbauen zu können. Letztlich müssten etwa in Personalfragen, die zunehmend durch KI-gestützte Systeme (teil-)automatisiert werden, Menschen entscheiden.

Die EU-Kommission hat 2021 einen Entwurf für eine Verordnung für Künstliche Intelligenz vorgelegt, in den die verschiedenen nationalen KI-Strategien der Mitgliedstaaten eingeflossen sind. Sie sieht für vier Risikostufen verschiedene Verhaltensregeln, Mindeststandards und Verbote vor und soll so die Sicherheit der Nutzer gewährleisten und das Vertrauen in die Entwicklung und die Verbreitung von KI stärken. Auf dieser Grundlage soll Europa „zum globalen Zentrum für vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz“ werden.

Stefan Krempl
(freier Journalist)

Die geplante EU-Verordnung zu künstlicher Intelligenz stellt die Weichen für die sichere Nutzung von KI-Systemen. Der Normung kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Wie sich die KAN zum Verordnungsentwurf positioniert hat und aus Arbeitsschutzsicht einbringt, lesen Sie im Artikel "KAN-Position zum EU-Verordnungsvorschlag über Künstliche Intelligenz"  und im KAN-Arbeitsgebiet Künstliche Intelligenz.