KANBrief 3/18

Krankenkraftwagen: Sicherheit geht vor

Die EN 1789 bildet die Grundlage für die Konstruktion, den Bau, die Prüfung, die Ausstattung und die Ausrüstung von Kranken­kraftwagen in Europa. Sie verweist als Rahmennorm auf weitere Normen, die für ihre Anwendung erforderlich sind (z.B. EN 1865-1 bis 5, Krankentransportmittel im Krankenkraftwagen, oder EN 13976-1 und 2, Rettungs­systeme – Inkubatortransport). Wer heute einen Krankenkraftwagen bauen, zulassen und betreiben möchte, kommt um die Beachtung der derzeit in der Überarbeitung und Anpassung befindlichen EN 1789 „Rettungsdienstfahrzeuge und deren Ausrüstung – Krankenkraftwagen“ nicht herum.

Mit der Änderung der EU-Rahmenrichtlinie 2007/46/EG (Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbst-ständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge) durch die EU-Verordnungen 214/2014 (Anhang XI, Zusätzliche Anforderungen für Krankenwagen: Der Patientenraum von Krankenwagen muss den An­for­derungen der Norm EN 1789:2007 (…) genügen. Die Übereinstimmung ist durch den Prüfbericht eines Technischen Dienstes zu belegen) und 678/2011 (Anhang II. Teil A, Abs. 5.3., Krankenwagen: Der Patientenraum muss den technischen Anforderungen der Norm EN 1789: 2007 (…) genügen) ist die EN 1789 für die straßenverkehrsrechtliche Zulassung von Krankenkraftwagen (KKW) in Europa verbindlich geworden. In Deutschland bedarf ihr Betrieb zusätzlich der Genehmigung der für den Rettungsdienst zuständigen Landesaufsichtsbehörde. Grundlage sind die 16 Landesrettungsdienstgesetze und deren Nebenbestimmungen. Viele führen explizit die DIN EN 1789 als Genehmigungsgrundlage für die Fahrzeuge und deren Ausstattung und Ausrüstung auf oder verweisen indirekt darauf, indem sie fordern, dass Fahrzeuge und Ausrüstung den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen müssen. Die Länder vertrauen in ihrer gesetzlichen Festlegung darauf, dass die Normung – gemäß ihrem Auftrag – die anerkannten Regeln der Technik zuverlässig und vollständig berücksichtigt.

Konformitätsfeststellung – nicht immer konform

In Deutschland werden KKW immer noch per Einzelabnahme zum Straßenverkehr zugelassen, obwohl viele Fahrzeuge in Serie gefertigt werden und damit eigentlich das Kraftfahrt-Bundesamt zuständig wäre. Die Zulassungsstellen der Bundesländer prüfen nicht mehr selbst, sondern lassen die Fahrzeuge auf der Grundlage von Gutachten technischer Überwachungsorganisationen zu. Diese führen Prüfungen entsprechend dem – möglicherweise eingeschränkten – Prüfauftrag des Ausbauers aus. So können sich leicht Fehler in das Endergebnis einschleichen: Während der Fahrt zu nutzende Fahrzeugsitze werden beispielsweise quer zur Fahrtrichtung verbaut abgenommen, obwohl dies nach DIN EN 1789 und den straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen in dieser Fahrzeugklasse nicht erlaubt ist. Am Ende der Kette steht der Betreiber, der sich oft auf die Konformitätsbescheinigung (siehe auch §§ 3, 5, 6 Betriebssicherheits­verordnung (BetrSichV)) verlässt und diese für die – noch vor dem Kauf durchzuführende – Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsmittels und für die jährliche Betriebssicherheitsprüfung (siehe auch § 57 DGUV Vorschrift 70) nutzt.

Eine gute Norm – ein erster Schritt

Die DIN EN 1789 muss nach der derzeit anlaufenden Überarbeitung eine sauber funktionierende Schnittstelle zwischen Ausbauern, Betreibern und den Belangen des Arbeitsschutzes sein. Sie muss dazu alle wesentlichen Entwicklungen im Rettungsdienst berücksichtigen, darf aber nicht gegen geltende arbeitsschutzrechtliche Vorschriften und Erkenntnisse verstoßen. Anpassungen an den Stand der Technik sind insbesondere an folgenden Punkten notwendig:

  1. Vermeidung von Ecken und Stoßkanten im Innenraum sowie Stolperfallen außen und ­innen

  2. Vermeidung von ungesichertem Stehen des Rettungsdienstpersonals während der Fahrt durch ergonomische Anordnung der Arbeitsmittel/-stoffe in Griffweite der Sitzplätze

  3. Anpassung von Fahrzeuggestaltung, Ausstattung und Ausrüstung, um die übermäßige körperliche Belastungen durch Heben, Tragen, Ziehen und Schieben von Patienten und Ausrüstung zu verringern.

  4. Bessere Kommunikationsmöglichkeit zwischen Führerhaus und Krankenraum

  5. Anpassung der Haltesysteme und Befestigungen an den Stand der Technik und die realen Einsatzbelastungen (Tragetisch, Inkubator etc.)

  6. Ausschluss von Krankentragesesseln/Bergestühlen etc. als reguläre Fahrzeugsitzplätze und ausreichende Anzahl von M1-Fahrzeugsitzen (ECE-Regelungen 14 (Verankerung der Sicherheitsgurte), 16 (Sicherheits­gurte), 17 (Widerstandsfähigkeit Sitze/Verankerung) im Krankenraum

  7. Konkrete Anforderungen an Klimaanlagen, Standheizungen und Filtersysteme, um Infektionsexposition zu vermeiden

  8. Korrektur unzulässiger Angaben und Einschränkungen z. B. zur persönlichen Schutzausrüstung, da hier Vorgaben des staatlichen Rechts gelten

  9. Ausschluss von Trägerfahrzeugen, die laut Fahrzeughersteller nicht für den Aus- bzw. Umbau zum Krankenkraftwagen geeignet sind

In diesen und weiteren Punkten muss in der kommenden Diskussion ein vertretbarer Kompromiss zwischen den Anforderungen an die Sicherheit des Personals und den konstruktiven Möglichkeiten des Fahrzeugbaus gefunden werden.

Christian Kühn
Gutachter/Sachverständiger für Sonderfahrzeuge des Rettungsdienstes
info@kuehnconsulting.de