KANBrief 4/17
Das Schlagwort „Industrie 4.0“ ist in aller Munde. Doch was versteht man unter dieser vierten industriellen Revolution genau und was wird zu ihrer Realisierung benötigt? Werden vollkommen neue Technologien entwickelt oder wird lediglich alte Technik neu verpackt?
Die deutsche Bundesregierung hat am 20. August 2013 die „Digitale Agenda 2014-2017“ beschlossen. Mit einer Förderung von bis zu 40 Milliarden Euro jährlich verfolgt sie das Ziel, den Wirtschaftsstandort Deutschland durch die Digitalisierung der Industrie langfristig zu sichern . Diese Digitalisierung wird als vierte industrielle Revolution, kurz „Industrie 4.0“ verstanden. Der Begriff „Industrie 4.0“ übt auf Industrie, Forschung und Bildung eine große Anziehungskraft aus und wird daher zuweilen etwas unscharf verwendet.
Alte Technologie neu verpackt?
Einige der vermeintlichen Industrie-4.0-Technologien existieren schon weitaus länger als die nun verkündete vierte industrielle Revolution. Das (industrielle) Internet der Dinge, BigData, Künstliche Intelligenz, Cloud und Roboter sind jeweils eigene, bereits bestehende Themengebiete. Sie bilden die technische Voraussetzung für Industrie 4.0 und werden im Vergleich zu früher verstärkt verknüpft und angewendet. Die Neuerung der Industrie 4.0 besteht darin, dass Komponenten herstellerunabhängig und über Unternehmensgrenzen hinaus untereinander kommunizieren und autonom agieren können.
Roboter führen zunächst zu einem hohen Automatisierungsgrad. Selbst wenn sie als kollaborierende Roboter unmittelbar mit dem Menschen zusammenarbeiten, handelt es sich noch nicht zwangsläufig um Industrie 4.0.
Werden Alltagsgegenstände mit Mikroprozessoren und zusätzlichen Sensoren zur Erfassung der Umwelt (z.B. Temperatur, Lautstärke) ausgestattet, entsteht ein smartes Produkt. Ein zusätzlicher Funkchip macht das Produkt eindeutig identifizierbar und ermöglicht die Kommunikation mit anderen Objekten über das Internet. Diese Art der Vernetzung wird als Internet der Dinge (IoT) (pdf) bezeichnet. Übertragen auf Industriegüter und deren Vernetzung wird vom industriellen Internet der Dinge (IIoT) gesprochen.
IIoT erzeugt eine große, aber vor allem komplexe Datenmenge: BigData. Künstliche Intelligenz kann zur Auswertung verwendet werden und Muster in großen Datenmengen erkennen. Durch die Kombination der beiden soll eine höhere Wertschöpfung (durch Prozessoptimierung, Verkauf von Daten, etc.) erzielt werden. Die Cloud erlaubt einen permanenten und ortsunabhängigen Zugriff auf diese Daten außerhalb eines Unternehmens.
Damit dieser Informationsaustausch herstellerunabhängig werden kann, sind standardisierte Schnittstellen, Protokolle und Methoden zur Organisation und Steuerung von Industrieprozessen notwendig. In Deutschland wurde als erster Schritt ein Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0 (RAMI 4.0) entwickelt, beschrieben in der DIN SPEC 91345:2016-04. Das amerikanische Pendant ist die Industrial Internet Reference Architecture (IIRA). Damit keine Parallelwelten entstehen, wird versucht, beide Modelle miteinander zu verknüpfen. Die globale Einigung auf eine einheitliche Referenzarchitektur ist eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung von Industrie 4.0.
Ein standardisiertes Senden, Empfangen und Speichern von Daten ermöglicht eine hersteller-übergreifende Weiterverarbeitung von Daten und Produkten. Zusätzliche Software macht einzelne Komponenten autonom handlungsfähig. Dadurch können neuartige Dienste entwickelt, angeboten, angewendet und auf unterschiedlichste Weise miteinander verknüpft werden. Damit all dies umgesetzt werden kann, müssen Aspekte sowohl der Produktsicherheit als auch der Informationssicherheit berücksichtigt werden (siehe auch Aspekte der Sicherheit im Wandel zur Industrie 4.0, Quelle und weitere Informationen: Manzei, Schleupner, Heinze (Hrsg.): Industrie 4.0 im internationalen Kontext, 2017).
Industrie 4.0 = Smart Manufacturing?
Industrie 4.0 und Smart Manufacturing werden häufig miteinander in Verbindung gebracht. Diese Begriffe bedeuten jedoch nicht dasselbe. Vielmehr ist Industrie 4.0 die technische Voraussetzung für eine smarte Produktion, die sich beispielsweise selbst konfiguriert und ein einzelnes nach Kundenwünschen gestaltetes Produkt zum Preis von Massenprodukten produziert. Eine Definition von „Smart Manufacturing“ wird derzeit im Smart Manufacturing Coordinating Committee der ISO erarbeitet.
Sebastian Korfmacher