KANBrief 3/19

Exoskelette – Anwendung in der Praxis

Schneller – höher – stärker. Mit diesem Motto sind die ersten Entwickler von Exoskeletten für das Militär an den Start gegangen. Nun sollen Exoskelette auch den Produktionsalltag revolutionieren und die Mitarbeiter durch Stützstrukturen entlasten. Aber aus welchen Gründen darf man sie wirklich einsetzen? Und wie kann man eine solch neuartige Technologie sinnvoll an die Linie bringen? Welche Chancen, aber auch Risiken ergeben sich für Betrieb und Mitarbeiter?

Als häufigster Grund für den Einsatz von Exoskeletten wird die Entlastung des Mitarbeiters, also die Reduktion der Beanspruchung einzelner Körpersegmente, angeführt. Ein weiterer vertretbarer Einsatzgrund wäre die Reintegration von tätigkeitseingeschränkten Mitarbeitern oder von Menschen mit Behinderungen. Seltener wird auf ökonomische Interessen des Unternehmens wie bessere Qualität (durch geringere Ermüdung und höhere Aufmerksamkeit) und höhere Quantität (durch höhere Leistungsfähigkeit) hingewiesen. Auch die Vermeidung von Investitionen in (häufig teure) Produktionsergonomie kann ökonomische Effekte für den Betrieb erzielen.

Genaues Abwägen notwendig

Exoskelette sollten aber nur dort eingesetzt werden, wo ein Einsatz auch wirklich sinnvoll und ethisch vertretbar ist. Da das Exoskelett in die Integrität des Mitarbeiters eingreift und dieser auch die potentiellen Folgeschäden und Nebenwirkungen trägt, muss es, ähnlich wie in der Medizin, eine auf den Mitarbeiter bezogene Notwendigkeit (Indikation) geben. Der Nutzer muss einen persönlichen Vorteil aus der Nutzung haben – und nicht nur das Unternehmen. Dies fördert auch die Akzeptanz neuer Technologien. Der Mitarbeiter sollte also aufgrund seiner persönlichen Besonderheiten (Größe, Kraft, Fähigkeiten, Tätigkeitseinschränkungen u.a.) ein ergonomisches Problem am Arbeitsplatz haben, welches es zu lösen gilt. Sollte dies auf mehrere Mitarbeiter am gleichen Arbeitsplatz zutreffen, handelt es sich vermutlich um ein systemisches Problem. Gemäß dem gesetzlich vorgegebenen TOP-Prinzip muss immer zunächst der Arbeitsplatz auf mögliche technische und organisatorische Verbesserungen hin geprüft werden.

Aus dieser Sichtweise ist gut ersichtlich, wann uns Exoskelette einen echten Mehrwert bringen. Nämlich dann, wenn ein Mitarbeiter Gefahr läuft, seinen langjährigen Arbeitsplatz und sein Team verlassen zu müssen und im schlimmsten Fall seine Anstellung zu verlieren, da er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, weiterhin seine Aufgaben zu erfüllen. Exoskelette können dabei helfen, diese Menschen im Wertschöpfungsprozess zu halten und zudem Menschen mit Tätigkeitseinschränkungen wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren. Leider sind die Hersteller noch nicht so weit, die Produkte auch für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen freizugeben.

Exoskelette sind kein Ergonomie-Ersatz

Exoskelette können eine trügerische Sicherheit vermitteln. Sie entlasten bestimmte Körpersegmente (z. B. die Schultergelenke) und leiten Kräfte in eventuell unphysiologischer Weise in andere Strukturen (z. B. untere Rückensegmente) ein. Inwieweit diese Strukturen die Mehrbelastung langfristig tolerieren, ist derzeit noch kaum untersucht. Um Schädigungen zu vermeiden, werden Langzeittests und eine stetige medizinische Kontrolle benötigt. Bei gesunden Mitarbeitern sollte der Einsatz von Exoskeletten soweit es geht minimiert werden.

Auch können Exoskelette notwendige Inves­titionen in „bessere“ Ergonomie verhindern. Vor allem in der Industrie ist es fast immer möglich, andere technische oder organisatorische Lösungen zu finden. Diese können dann jedoch auch sehr teuer werden. Exoskelette können den Druck auf das Unternehmen mindern, in diese Lösungen zu investieren. Zur temporären Überbrückung von ergonomischen Engstellen kann der Einsatz von Exoskeletten sinnvoll sein – wenn eine definitive technische oder organisatorische Lösung absehbar ist (Brückentechnologie).

Die Akzeptanz eines Exoskelettes ist ein oftmals ungelöstes Problem. Neben Komfort-Einschränkungen (Druck / Temperatur / Reibung etc.) haben Exoskelette meist nur eine oder wenige Unterstützungsfunktionen. Bei anderen Tätigkeiten, welche oftmals im Arbeitsprozess vorkommen, können sie den Bewegungsablauf stören. Fühlt sich der Mitarbeiter mit dem Exoskelett in seinem Handeln gestört, lehnt er es auch schneller ab.

Exoskelette können einen Mehrwert bringen, wenn sie richtig eingesetzt werden, der Mitarbeiter frühzeitig einbezogen wird und wenn es eine klare, individuelle Indikation gibt. Der Einsatz muss von den Fachabteilungen, dem Gesundheitswesen und dem Arbeitsschutz begleitet werden. Da es aktuell kaum gesetzliche Regelungen zum Einsatz von Exoskeletten gibt und auch deren Wirkungen und Folgen kaum untersucht worden sind, braucht es hier auch eine ethische Bewertung.

Tobias Möller tobias.moeller@volkswagen.de
Dr. Manfred Knye manfred.knye@volkswagen.de