KANBrief 4/15

Gesundheits- und Sozialdienstleistungen: kein Fall für die Normung

Die Normung von Dienstleistungen steht momentan hoch im Kurs. Dabei sind auch Gesundheits- und Sozialdienstleistungen zunehmend ein Thema. Es ist zu befürchten, dass Normen in diesem Bereich mit bewährten, gesetzlich verankerten Sozialsystemen kollidieren. Die Normung muss daher aus Sicht der KAN und der Unfallversicherung kritisch begleitet und hinterfragt werden.

Die Normung von Produkten im Gesundheitsbereich ist sinnvoll und allgemein anerkannt. Sichere und ergonomische Krankenhausbetten, Herz-Lungenmaschinen oder Spritzenkanülen dienen der Sicherheit der Patienten und der Beschäftigten.

Neben dieser klassischen Produktnormung gibt es in letzter Zeit zunehmend Bestrebungen, auch Dienstleistungen im Sozial- und Gesundheitswesen zu normen. Gesundheitsdienstleistungen unterliegen jedoch nicht dem klassischen ökonomischen Marktgefüge und wurden daher aus dem Anwendungsbereich der EU-Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) ausgeschlossen. Dennoch erwähnt die Europäische Kommission die Bedeutung der Normung von Gesundheitsdienstleistungen seit 2013 in ihren jährlichen Arbeitsprogrammen. Konkret steht die Förderung von Normen im Bereich von E-Gesundheit (eHealth) sowie zur Qualitätssicherung in der Brustkrebsvorsorge im Raum.

Auch die „Normungsroadmap Dienstleistungen (pdf, nicht barrierefrei)“ des DIN sieht Potential für die Normung von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen. Sie schränkt aber gleichzeitig ein, dass Normung aufgrund zahlreicher nationaler gesetzlicher Regelungen nicht überall sinnvoll ist. Ein Beratungsgremium bei CEN lotet derzeit aus, wo im Bereich von Gesundheitsdienstleistungen Normen sinnvoll sein könnten. Auf ISO-Ebene existieren bereits Normungsprojekte wie das Internationale Workshop-Agreement 18 zu „auf der Allgemeinheit basierenden, ganzheitlichen Gesundheits- und Pflegedienstleistungen in alternden Gesellschaften“.

Normung hat Grenzen – bitte beachten!

Nach Artikel 153 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU liegt die Hauptverantwortung für die Sozial- und Gesundheitssysteme bei den Mitgliedstaaten. Normen zu Gesundheitsdienstleistungen sind daher problematisch, wenn sie den betrieblichen Arbeitsschutz oder die gesetzliche Unfallversicherung berühren, die gesundheitliche und soziale Leistungen aufgrund spezifischer nationaler Gesetze und Regelungen erbringt.

Betrieblicher Arbeitsschutz

Arbeitgeber sind verpflichtet, Gefährdungen zu beurteilen und Schutzmaßnahmen zu ergreifen, etwa für den Umgang von Pflegepersonal und Ärzten mit Chemotherapeutika. Entscheidend ist die spezifische Arbeitssituation. Diese kann und soll eine Norm nicht vorwegnehmen. Entsprechend hat eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geleitete Arbeitsgruppe aus Vertretern der Arbeitsschutzkreise in einem Grundsatzpapier (pdf, nicht barrierefrei) beschrieben, dass Normung in Bezug auf den betrieblichen Arbeitsschutz nur im Einzelfall möglich sein soll (KAN-Positionspapier 1 (pdf, nicht barrierefrei) und KAN-Positionspapier 2 (pdf, nicht barrierefrei)). CEN unterstützt diese Position: Laut CEN-Guide 15 ist der betriebliche Arbeitsschutz ausdrücklich als Normungsgegenstand ausgenommen.

Heilverfahren nach Arbeitsunfall

Die Unfallversicherungsträger erbringen nach einem Arbeitsunfall medizinische Leistungen nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Vorgaben und Qualitätsanforderungen. Sie können z.B. die notwendige fachliche Befähigung der durch sie beauftragten Ärzte und Kliniken festlegen. Zudem erarbeiten sie gemeinsam mit den medizinischen Fachgesellschaften und ärztlichen Berufsverbänden Qualitätsstandards zur Versorgung von Beschäftigten nach Arbeitsunfällen. Hier würden von externen europäischen Kreisen entwickelte Normen, die andere Standards abbilden, zu einer Rechtsunsicherheit führen, insbesondere dann, wenn sie gegensätzliche Aussagen enthielten.

Der gesetzliche Auftrag der Unfallversicherung besteht darin, Versicherte mit allen geeigneten Mitteln medizinisch zu versorgen. Entscheidend ist dabei die individuelle Situation des Patienten. Die dazu notwendigen qualitativen Anforderungen fallen nicht in den Regelungsbereich der Normung. Gleiches gilt für Pflege- oder soziale und berufliche Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die DGUV lehnt deswegen Normung in Bezug auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (pdf) ab und hat sich gemeinsam mit anderen Organisationen kritisch hierzu geäußert.

Eva-Marie Höffer
eva-marie.hoeffer@dguv.de

Angela Janowitz
janowitz@kan.de