KANBrief 3/19

Exoskelette an gewerblichen Arbeitsplätzen – alles sicher?

Etwa 23 % der Beschäftigten in Deutschland müssen schwere Lasten heben und tragen, 14 % führen Arbeiten in ungünstigen Körperhaltungen aus (BMAS, BAuA. Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2016 (pdf)). Exoskelette – am Körper getragene Assistenzsysteme – sollen diese Arbeiten erleichtern. Sie wurden ursprünglich für den militärischen Einsatz oder die medizinische Rehabilitation entwickelt. Nun halten sie auch Einzug in die Arbeitswelt. Wie funktionieren Exoskelette? Welche Chancen und Risiken bergen sie?

Der Einsatz von Exoskeletten an Arbeitsplätzen ist grundsätzlich überall sinnvoll, wo schwere Lasten manuell bewegt werden oder Tätigkeiten in Zwangshaltungen durchgeführt werden und andere technische Hilfsmittel wie Gabelstapler, Kran oder Vakuumheber nicht zum Einsatz kommen können. Es ist auch denkbar, körpergetragene Assistenzsysteme beim betrieblichen Eingliederungsmanagement oder für die Inklusion von Mitarbeitern einzusetzen.

Aktive und passive Exoskelette

Aktive Exoskelette verfügen über einen elektrischen oder pneumatischen Antrieb. Sie benötigen hierfür eine Energieversorgung und können modular aufgebaut und erweitert werden, so dass mehrere Körperregionen unterstützt werden können. Da sie sehr komplex sind und häufig ein hohes Eigengewicht besitzen, ist die Akzeptanz von aktiven Exoskeletten in der Industrie aktuell noch gering.

Bei passiven Exoskeletten erfolgt die Unterstützung rein mechanisch, z.B. über Federsys­teme, die Energie bei bestimmten Körperbewegungen aufnehmen und für die Unterstützung wieder abgeben. Sie benötigen keine Energieversorgung und unterstützen in der Regel nur einzelne Körperregionen. Da sie leichter und preiswerter als aktive Exoskelette sind, ist ihre Akzeptanz in den Unternehmen deutlich größer.

Unklare sicherheitstechnische Anforderungen

Auf europäischer Ebene wird derzeit diskutiert, welcher EU-Richtlinie oder -Verordnung Exoskelette zuzuordnen sind. Denkbar wäre eine Einordnung als technisches Hilfsmittel unter die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. In Anhang 1 der Richtlinie werden Schutzziele beschrieben, die bereits jetzt Anhaltspunkte für die Vermeidung von Gefährdungen beim Einsatz von Exoskeletten geben können. Bei der Verwendung von Exoskeletten im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung oder Inklusion könnte die europäische Richtlinie 93/42/EWG für Medizinprodukte bzw. das Medizinproduktegesetz (MPG) in Deutschland zur Anwendung kommen. Da Exoskelette vor einer Überlastung bei Hebe- oder Tragetätigkeiten oder bei Arbeiten in Zwangshaltungen schützen sollen, wird auch eine Zuordnung zur Verordnung (EU) 2016/425 für Persönliche Schutzausrüstung diskutiert.

Mögliche Gefährdungen für Beschäftigte

Bei der Gefährdungsbeurteilung müssen mögliche Risiken von Exoskeletten ermittelt und bewertet werden. Dies ist aktuell aufgrund fehlender Untersuchungen allerdings noch nicht möglich. Führt beispielsweise das tägliche Tragen eines Exoskeletts über einen längeren Zeitraum zu Muskelabbau, und wie ist dieser ggf. zu bewerten? Nach welcher Zeit sind bei längeren Überkopfarbeiten mit Exoskelett Durchblutungsstörungen der Arme zu erwarten? Bei aktiven Exoskeletten könnte eine Fehlfunktion von Antriebstechnik oder Steuerung zu Verletzungen führen. Gleiches gilt auch für Fehlfunktionen auf Grund von Fehlbedienungen.

Um Risiken durch die Nutzung von Exoskeletten zu ermitteln und zu bewerten, hat die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) 2018 das Projekt „Exo@work – Bewertung exoskelettaler Systeme in der Arbeitswelt“ initiiert. Ziel ist die Entwicklung eines Leitfadens mit Handlungsempfehlungen, mit deren Hilfe zum Beispiel Gefährdungen, gesundheitliche Belastungen, Akzeptanz und Nutzerfreundlichkeit systematisch bestimmt und bewertet werden können.

Zu beachten ist, dass Exoskelette in der Hierarchie der Schutzmaßnahmen (TOP-Prinzip) an letzter Stelle stehen. Es sind also zunächst alle technischen und organisatorischen Maßnahmen auszuschöpfen, um die Handhabung schwerer Lasten oder Arbeiten in Zwangshaltung zu vermeiden. Erst wenn dies nicht möglich ist, ist der Einsatz eines Exoskeletts als personengebundene Maßnahme sinnvoll. Grundsätzlich sollte ihr Gebrauch immer mit entsprechenden verhaltensbezogenen Maßnahmen wie Unterweisungen und Übungen verbunden werden.

Ralf Schick
r.schick@bghw.de

Was passiert in der Normung?

Auch wenn der Exoskelett-Markt noch am Anfang steht und derzeit Forschung, Entwicklung und Praxistests an der Tagesordnung sind, wird immer öfter nach Normen gefragt. Gemeinsam mit der BGHW, dem Studiennehmer von exo@work und DIN hat die KAN einen Workshop zum Thema organisiert, um ein mögliches Normprojekt zu Exoskeletten zu prüfen. Neben Definitionen könnten darin erste, allgemeine technische und ergonomische Anforderungen festgelegt und Empfehlungen zur Einführung von Exoskeletten formuliert werden.