KANBrief 1/24

Auswirkungen des Klimawandels auf Arbeitsschutz und Normung

Die Klimakrise macht sich nicht nur mit Extremwetterereignissen wie großer Hitze und Überschwemmungen immer deutlicher bemerkbar. Der Arbeitsschutz muss sich darauf einstellen.

2023 war europäischen Wissenschaftlern zufolge das wärmste Jahr seit 125.000 Jahren. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) weist es als das heißeste seit Aufzeichnungsbeginn aus. Die Folgen der Klimakrise werden auch in Deutschland und Europa immer stärker – vielfach am eigenen Leib – spürbar. Extremwetterereignisse wie andauernde Hitzeperioden und damit verknüpfte Waldbrände nehmen infolge des globalen Klimawandels genauso zu wie Starkregen, Hochwasser und Sturzfluten. Die UV- und Ozonbelastung steigt. Invasive Insekten wie hierzulande bislang unbekannte Varianten an Stechmücken und Zecken, die Krankheiten übertragen können, breiten sich aus. Verlängerte Pflanz- und Blühperioden können häufiger zu allergischen Symptomen wie Heuschnupfen, Asthma oder Kontakt-Dermatitis führen.

Die verschärften klimatischen Bedingungen fordern auch den Arbeitsschutz und seine bestehenden Regelungen und Normen heraus. Durch den Wandel dürften einschlägige Risiken für Beschäftigte „intensiver und häufiger auftreten“, heißt es in einem 2023 veröffentlichten Gutachten der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) und des Centre for Planetary Health Policy (CPHP) für das Bundesarbeitsministerium. Um weiterhin ein langes, gesundes Arbeiten zu ermöglichen, seien daher frühzeitige Präventionsmaßnahmen „sowohl durch Klimaschutz (Mitigation) als auch durch Anpassungen an die Folgen des Klimawandels (Adaptation)“ nötig.

Schon jetzt stellt den Forschern zufolge Hitze die größte Gesundheitsgefahr in Europa dar. Sie sei „ein Grund für die Zunahme arbeitsbezogener Belastungen und Fehlzeiten, die mit weitreichenden Produktivitätseinbußen einhergehen“. Die Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales warnte bereits 2021, es gebe mittlerweile auch in Industriestaaten Regionen wie den „Sun Belt“ südlich des 37. Breitengrades in den USA, in denen die Temperatur an einer deutlich wachsenden Zahl von Tagen über der „Betriebstemperatur“ des Menschen liege. Das führt zu körperlichen Problemen wie Dehydrierung, allgemeiner Ermüdung und Konzentrationsstörungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Nierenfunktionsstörungen und potenziell zum Hitzschlag.

Indirekt könne Hitze das Auftreten von Arbeitsunfällen nicht nur durch verminderte Konzentrationsfähigkeit, sondern etwa auch durch verschwitzte Hände oder beschlagene Brillengläser erhöhen, erklären die KLUG und das CPHP. Das Tragen von Schutzkleidung während der Arbeit wirke sich teils zusätzlich durch erhöhtes Schwitzen negativ auf das Körperbefinden aus. „Die für den Menschen notwendige ausgeglichene Wärmebilanz des Körpers kann durch Arbeiten unter Hitzebelastung gefährdet werden“, schreibt auch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in einem Bericht. Bei körperlicher Tätigkeit werde generell sehr viel Wärme im Körper produziert, die persönliche Schutzkleidung könne hier isolierend wirken. Umgekehrt führt das Nicht-Tragen von Schutzausrüstung zu erhöhten Gefahren, sich gesundheitsschädlichen Substanzen oder Erregern auszusetzen. Durch Hitze kann es einfacher zur Freisetzung von thermosensitiven Stoffen wie Formaldehyd aus Werkmaterialien oder Weichmachern aus Kunststoffen kommen.

Weiter erschwerend kommt dazu: Die etwa von EU-Chemikaliengesetzen verlangte Nachhaltigkeit betrifft grundsätzlich auch Inhaltsstoffe von persönlicher Schutzausrüstung oder Feuerlöschern. Zusätzlich wird in Brüssel über ein Verbot fluorhaltiger Ewigkeitschemikalien (PFAS) diskutiert. Die Textilindustrie gibt sich besorgt: Für die Arbeitsschutzkleidung etwa von Polizisten, Feuerwehrleuten oder medizinischem Personal fehlten dazu bislang Alternativen. Verstärkte Forschungs- und Normungsaktivitäten könnten hier möglicherweise Abhilfe schaffen.

Neben der Gefährdung durch Hitze ist die steigende solare UV-Strahlung eine Herausforderung für den Arbeitsschutz. Zur persönlichen Schutzausrüstung zur Abwehr von UV-Strahlung etwa in den Bereichen Bau, Landwirtschaft, Zustelldienste, Schwimmbäder und Kinderbetreuung gehören auch Sonnenbrillen, -schutzmittel und spezielle Textilien. Wie wichtig diese sind, zeigt die zunehmende Zahl an Hautkrebserkrankungen. Zu den Produkteigenschaften von persönlicher Schutzausrüstung gibt es schon diverse europäische und internationale Normen.

Weitere Normungsaktivitäten gibt es zudem in der VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft. Deren Arbeitsgebiet umfasst bereits Fragestellungen etwa zur Entstehung und Verhütung von Emissionen, zur Entsorgungs- und Reststoffproblematik, zur Wärmenutzung, zur Umweltmeteorologie, zur Wirkung von Immissionen sowie zur Technologie der Abgasreinigung und Staubtechnik. Das Thema Sicherheit beim Recycling oder dem Wiederverwenden von Materialien, wo Gefahrstoffe freigesetzt werden können, brennt Praktikern aber noch unter den Nägeln. Der Ansatz „Safety by Design“, also der Einbau von Schutzmaßnahmen direkt in Maschinen und Produkte, dürfte hier zielfördernd sein.

Das Arbeitsministerium erinnert zudem daran, dass Recycling und die Rohstoffgewinnung für die mit dem Green Deal der EU gefragten klimafreundlichen Technologien oft in Entwicklungs- und Schwellenländern stattfinden. Es nennt daher die Formulierung und Verbreitung gemeinsamer einschlägiger Normen sowie die Etablierung von internationalen Regeln zur Achtung von Arbeits- und Sozialstandards in Lieferketten als wichtige Handlungsfelder. Zunehmend seien integrierte Lösungen aus Arbeits-, Produkt- und Umweltsicherheit jenseits von Silo-Denken gefragt. Vor allem durch die Digitalisierung und die Etablierung der von der EU vorangetriebenen Kreislaufwirtschaft biete sich mit Blick auf internationale Herstellungs-, Nutzungs- und Verwertungsregime die Chance, solche übergreifenden Ansätze auch zu implementieren.

Vordringlich seien ferner die Anwendung baulicher und technischer Maßnahmen zum sommerlichen Wärmeschutz inklusive äußerer Verschattung und Blenden, energieeffiziente und regenerative Kühltechniken sowie geeignete städtebauliche Maßnahmen wie die Begrünung von Fassaden und Freiflächen zur Verringerung der Wärmebelastung in Innenräumen, betont Stefan Bauer, Experte für Klimawandel und Arbeitsschutz bei der BAuA. Die Arbeitsstättenverordnung mit ihrer Vorgabe „gesundheitlich zuträglicher Raumtemperaturen“ müsse zur ganzheitlichen Anforderung an ein „gesundheitlich zuträgliches Raumklima“ weiterentwickelt werden. Teils arbeite das DIN zumindest an relevanten Standards, etwa zum Wärmeschutz von Gebäuden oder zu einheitlichen Mess- und Beurteilungsverfahren. Bisher sei der Klimawandel aber „noch nicht umfassend in Normen verankert“. Der sektorübergreifende Erfahrungsaustausch müsse daher gefördert werden, um zu klimaresistenten Standards in ganz Europa beizutragen.

„Der Umbau hin zu einem klimaneutralen Industrieland erfordert eine tiefgreifende grüne Transformation in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft“, unterstreicht DIN. Dafür brauche es jetzt „neue technische Regeln sowie eine Überprüfung und Anpassung bestehender Dokumente“. Denn beim Aufbau einer grünen und nachhaltigen Wirtschaft schafften Normen und Standards „Vertrauen für neue klimafreundliche Technologien“. Sie hälfen „bei der Erschließung neuer Märkte und erhöhen für Unternehmen und Staat die Investitionssicherheit“. Nicht zuletzt definierten sie eine gemeinsame Sprache und Methoden, die Vergleichbarkeit schafften und den Fortschritt beim Kampf gegen den Klimawandel messbar machten. Man arbeite hier in enger Abstimmung mit anderen einschlägigen nationalen Instituten und den europäischen und internationalen Organisationen CEN und ISO.

Auch die EU-Kommission macht dabei Druck. Sie hat im Februar 2022 eine neue Normungsstrategie vorgelegt, um auf die globale Entwicklung stärker Einfluss zu nehmen. Die Kommission will damit sicherstellen, dass Normen den digitalen und grünen Wandel unterstützen. Das mit dem Green Deal verknüpfte Klimaschutzgesetz verlangt, den Treibhausgasausstoß der Gemeinschaft bis zum Jahr 2050 netto auf null zu senken. In der Gesamtbilanz sollen die Mitgliedsstaaten dann nur noch so viele Schadstoffe emittieren, wie sie etwa durch Aufforstung oder CO2-Speicherung wieder ausgleichen. Die KLUG und das CPHP lassen keinen Zweifel daran, dass an der Umsetzung dieser ambitionierten Vorgaben kein Weg vorbeiführt. Auch im Arbeitsschutzgesetz stehe, „dass Gefährdungen an ihrer Quelle zu bekämpfen sind“. Daher stelle „die Begrenzung der Erderwärmung durch Klimaschutz eine wichtige Präventionsmaßnahme im Arbeitsschutz dar“.

Stefan Krempl, Freier Journalist
sk@nexttext.de