KANBrief 1/11

Ergonomienormung will anwenderfreundlicher werden

Das ergonomische Normenwerk gliedert sich in europäische Normen unter der Maschinenrichtlinie, internationale Normen mit stärkerer Ausrichtung auf Prinzipien und Gestaltungsleitsätze sowie ergonomische Anforderungen in verschiedensten Produktnormen. Woran es bisher noch fehlt, um diese Bereiche zu einem harmonischen Ganzen zusammenzufügen, schildern die Vorsitzenden der Ergonomie-Ausschüsse beim DIN und bei ISO, Norbert Breutmann und Georg Krämer.

Herr Breutmann, welche Herausforderungen stellen sich aktuell in der Ergonomienormung?

Ergonomie in der Arbeitswelt ist wichtig, um die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen bis zum Rentenalter unterstützen zu können. Als Teil der präventiven Arbeitsgestaltung stellt sie eine gesellschaftliche Herausforderung dar, der jedoch bisher nicht überall die nötige Beachtung geschenkt wird. Wichtig wäre es, dass die Ergonomie in die Aktivitäten aller relevanten Normungsgremien Eingang findet und hier ein einheitliches Ergonomieverständnis für die Gestaltung von Systemen und Produkten entsteht, bei dem der Mensch mit seinen Leistungsvoraussetzungen im Mittelpunkt steht. Um diesem hohen Anspruch gerecht zu werden, muss der Normenausschuss Ergonomie in der Lage sein, die menschengerechte Gestaltung von Arbeitsmitteln und Arbeitssystemen in allen Technikfeldern kompetent zu unterstützen. Dass dies noch nicht immer der Fall ist, zeigt das Beispiel der Beleuchtung am Arbeitsplatz, bei der sich eine ergonomisch fundierte Zuarbeit derzeit noch sehr schwierig gestaltet.

Warum werden Ergonomienormen zum Beispiel von Konstrukteuren oft als schwer anwendbar bezeichnet?

Hierfür gibt es verschiedene Ursachen, die nicht alle im Normenausschuss Ergonomie begründet sind. Manchmal fehlt Konstrukteuren die Routine im Umgang mit Ergonomieanforderungen, die häufig nicht als Checklisten einfach abzuhaken sind, sondern ein Verständnis von Strategien voraussetzen. Die KAN hat mit der Entwicklung der Lehrmodule hier einen bedeutsamen Schritt zur Sensibilisierung und Qualifizierung des Ingenieurnachwuchses getan.

Außerdem sind die Normen unter der Maschinenrichtlinie unter extremem Zeitdruck und mit vielen inhaltlichen Kompromissen entstanden, die sich den Lesern schwer erschließen. Um die Anwendungsfreundlichkeit zu verbessern, müssen die ergonomischen Grundlagen unter stärkerer Einbeziehung der Nutzersicht neu aufbereitet werden. Um es den Konstrukteuren in der Zwischenzeit zu ermöglichen, die Inhalte der Ergonomienormen leichter zu erschließen, erarbeiten die Ergonomie- und Maschinenbau- Normenausschüsse gemeinsam ein übergreifendes Verständigungspapier, das Brückenpapier genannt wird.

Herr Krämer, wo liegen Ihrer Meinung nach die Schwierigkeiten in der europäischen und internationalen Ergonomienormung?

Ergonomienormen befassen sich mit der menschengerechten Gestaltung von Produkten und Prozessen. Damit verfolgen sie sowohl ein soziales Ziel zugunsten von Arbeitnehmern und Produktanwendern als auch ein wirtschaftliches Ziel, das für die Führungsebene eines Unternehmens von Bedeutung ist. Es zeigt sich aber, dass die derzeit mehr als 150 ISO- und CEN-Ergonomienormen sowohl in ihrer Wahrnehmung als auch in der Anwendung hinter den Erwartungen zurück bleiben. Dies wird zum Beispiel an einer geringen Feedbackquote in der Anwendung der Normen deutlich.

Und was wird unternommen, um die Wahrnehmung und Anwendung der Normen zu fördern?

Auf europäischer Ebene hat insbesondere das CEN/TC 122 „Ergonomics“ Initiativen ergriffen, um Hinweise auf Veränderungsbedarf, aber auch Vorschläge zur Verbesserung der Anwendung ergonomischer Normen zu erhalten. Eine Umfrage unter Federführung der Federation of European Ergonomics Societies (FEES) hat ergeben, dass Handlungsbedarf vor allem in Bezug auf die Vollständigkeit der gegebenen Informationen, hilfreiche Beispiele, die Prägnanz in der Aussage und die Lesbarkeit des Normtextes besteht. Die Ergebnisse der Umfrage werden zurzeit ausgewertet und Lösungsvorschläge erarbeitet.

Einen anderen Weg beschreitet das ISO/TC 159 „Ergonomics“. Es hat seine Zusammenarbeit mit anderen technischen ISO-Gremien, aber auch mit führenden Vereinigungen wie der International Ergonomics Association (IEA) intensiviert. Zunächst wurde ermittelt, wie die einzelnen Normungsgremien sinnvoll unterstützt werden können. Nun sollen mit Unterstützung des ISO/TC 159 zielgerichtete Ergonomienormen unter der Verantwortung des jeweiligen Komitees erarbeitet werden. Damit wird sowohl die Identifikation mit den Inhalten des Dokuments als auch das Interesse an der Publizierung einer qualitativ hochwertigen Norm nachhaltig gefördert. Die unmittelbaren Anwender sind als beteiligte Kreise aktiv in die Erarbeitung der Norm eingebunden und können damit deren Wert für die Anwendung direkt erfahren und beschreiben.