KANBrief 1/16

Erwartungen des Bundeswirtschaftsministeriums an die Normung

DIN (Deutsches Institut für Normung) und DKE (Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE) sind weltweit anerkannte Normungsorganisationen. Das Bundeswirtschaftsministerium setzt dabei den politisch-rechtlichen Rahmen. Gleichwohl ist die Normung nicht mehr unumstritten. Sie gilt häufig als wenig modern und zukunftsorientiert. Dies lässt ihre großen wirtschafts-, industrie- und innovationspolitischen Impulse außer Betracht. Normen beseitigen Handelshemmnisse und ebnen neuen Produkten den Weg in den Markt.

Mancher mag sich wundern: Was veranlasst die Politik, sich Gedanken über die Zukunft der Normung zu machen? Eigentlich überflüssig, könnte man meinen. Eine genauere Analyse kommt aber zu einem anderen Ergebnis. Die Normung gerät unter Druck. Was gestern noch allgemein anerkannt war, wird heute hinterfragt.

Bis vor kurzem – man möchte fast sagen: „in der guten alten Zeit“ – befand sich die Normung in einer komfortablen Situation. Auf Basis des 1975 zwischen DIN (inklusive DKE) und der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Normenvertrages (pdf) agierte sie eher produktbezogen in klassischen Bereichen und konnte sich auf eine breite Akzeptanz stützen. Sie war vor allem Betätigungsfeld einer eingeschworenen Gemeinschaft von Experten. Dass die Standardisierung im IT-Bereich eher außerhalb der traditionellen Normung in Konsortien stattfand, war akzeptiert. Norm- und Gesetzgeber waren keinen Konkurrenten, sondern Partner in einem ausbalancierten System.

Diese Situation hat sich in letzter Zeit geändert. Auch wenn Normen de jure freiwillige Regeln sind, so wirken sie de facto häufig verpflichtend. In aller Regel nämlich wird der Adressat einer gesetzlichen Vorschrift zum Nachweis der Produktkonformität auf Normen zurückgreifen. Wenn dies aber so ist, stellt sich die Frage nach der Normenerstellung. Werden alle Stimmen gehört? Sind die Verfahren transparent und nachvollziehbar? Gibt es eine „Normfolgen-analyse“? Und vor allem: Sind die von privaten Organisationen erstellten Regeln hinreichend demokratisch legitimiert, um de facto verpflichtende Wirkung zu entfalten?

Neue Normungswelten

Zunehmend werden auch Dienstleistungen Gegenstand von Normen. Spätestens wenn dies auf europäischer Ebene geschieht, stellt sich die Frage nach dem Zusammenspiel europäischer Normen mit nationalen Gesetzen. Muss alles, was genormt werden kann, auch tatsächlich genormt werden? Wer entscheidet diese Frage? Gibt es für jedes Normungsvorhaben auch eine entsprechende Nachfrage? Ist die öffentliche Hand „nur“ einer von mehreren interessierten Kreisen oder hat sie eine besondere Stellung? Bei der reinen Produktnormung waren diese Erwägungen noch nicht so relevant. Dienstleistungen und damit zusammenhängende Normungsfragen etwa im Bereich der Medizin oder der Bildung sind gesellschaftspolitisch brisanter und viel stärker in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion.

Und schließlich: Ehemals getrennte Welten verschmelzen, die Grenzen zwischen traditioneller Produktion und IT-basierten Geschäftsmodellen zerfließen. Industrie 4.0 ist in aller Munde und unsere Wirtschaft bereits jetzt eng mit Zulieferern aus aller Welt verflochten. Industrie 4.0 kann nur dann zum Erfolgsmodell werden, wenn die Normung die Interoperabilität von internetbasierten und traditionellen Produktionsschritten gewährleistet und Schnittstellen international harmonisiert sind.

Ist die Normung fit für die Zukunft?

Insgesamt erscheint es unverzichtbar, die Verfahren der Normung auf ihre Zukunftsfähigkeit zu überprüfen. Sie müssen zeitgerecht und inklusiv sein, und deswegen auch neue Arbeitsweisen nutzen. Neue technologische Entwicklungen müssen frühzeitig erkannt und daraus mit den relevanten Akteuren Normungsbedarfe abgeleitet werden. Im Umgang mit Foren und Konsortien braucht es einen modus operandi, der Reibungsverluste und Doppelungen vermeidet.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ist sich seiner politischen Verantwortung bewusst. Im Interesse der interessierten Kreise und auch der Normung selbst erscheint ein „Fitness-Test“ angezeigt. Das BMWi hat deshalb die Studie „Die Rolle der Normung 2030 und Gestaltungsoptionen unter Berücksichtigung der technologiespezifischen Besonderheiten der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in Normung und Standardisierung“ beauftragt. Mit Ergebnissen wird Ende 2016 gerechnet. Abhängig von den dort enthaltenen Handlungsempfehlungen sowie von den derzeit auf europäischer Ebene entwickelten Vorschlägen werden weitere Schritte zu diskutieren sein.

Dr. Ulrich Romer
ulrich.romer@bmwi.bund.de