KANBrief 1/24

Managementnormung im Kommen – mit und ohne System

Historisch gesehen gründet die Erfolgsgeschichte von Normen auf der klassischen technischen Normung von physischen Gegenständen. Wer die Normung heutzutage allerdings darauf reduziert, lässt einen erheblichen Anteil der Normungsarbeit außer Betracht. Denn schon jetzt bestimmen abstrakte Themen wie Organisationsprozesse, Dienstleistungen oder Qualitätssicherung die Agenda vieler (jüngerer) Normungsgremien.

Wenn man von Managementnormen spricht, so kommen schnell die großen und bekannten Managementsystemnormen in den Sinn: ISO 9001 für das Qualitätsmanagement, ISO 14001 für das Umweltmanagement oder ISO 50001 für das Energiemanagement. Der einheitliche Aufbau (Harmonized Structure, kurz HS) ermöglicht es, all diese Normen in ein einziges Managementsystem zu integrieren.

Arbeitsschutzmanagement

Auch der Arbeitsschutz hat mit der ISO 45001 eine Norm, die in dieser Riege zu nennen ist. In Deutschland wurde diese 2018 mit dem Titel Managementsysteme für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit – Anforderungen mit Anleitung zur Anwendung als DIN ISO 45001 übernommen. Derzeit läuft die Übernahme dieser Norm auch auf europäischer Ebene, wenngleich andere EU-Mitgliedsstaaten dem sehr skeptisch gegenüberstehen. Gerade Mitgliedsländer mit hohem Arbeitsschutzniveau durch staatliche Regeln sehen hier keinen Bedarf an fachlicher Hilfestellung durch Normen und private Zertifizierungen.

Flankiert wird die ISO 45001 von einer Reihe weiterer Dokumente aus dem zuständigen ISO/TC 283, z.B. zur psychologischen Gesundheit am Arbeitsplatz oder zum Sicheren Arbeiten während der COVID-19-Pandemie. Diese Normen wurden nicht in das deutsche Normenwerk übernommen. Außerdem ist eine Norm in Erarbeitung, die als Leitfaden für die Leistungsbewertung des Arbeitsschutzmanagementsystems herangezogen werden kann. Sie wird voraussichtlich 2024 als ISO 45004 veröffentlicht.

Risikomanagement

Die Normen des Gremiums ISO/TC 262 zum Risikomanagement sind keine Managementsystemnormen nach HS, auch wenn der Name dies vermuten lässt. Interessant aus Arbeitsschutzsicht ist u.a. die ISO 31030 zum Reiserisikomanagement, da hier Maßnahmen für Inlands- und Auslandsreisen von Beschäftigten festgelegt werden. Die Norm wird als DIN-Norm übernommen. Damit für in Deutschland Beschäftigte der gesetzliche Unfallversicherungsschutz greift, ist es wichtig, dass die Vorgaben der Unfallversicherung beachtet werden und sich Anwender nicht allein auf die Norm verlassen. Ein entsprechender Hinweis wird im Vorwort zu finden sein.

Verkehrssicherheitsmanagement

Thematisch ähnlich ist die Arbeit von ISO/TC 241 „Road traffic safety management systems“. Die dort erarbeiteten Normen sollen Organisationen helfen, zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit beizutragen. Sie richten sich in erster Linie an Organisationen, deren Aktivitäten überwiegend im öffentlichen Straßenverkehr stattfinden, wie bei Lieferdiensten, Personenbeförderung oder Logistik. Insbesondere die Lieferdienste haben durch Plattformarbeit eine neue Dynamik bekommen (z.B. durch Uber, Lieferando, Wolt etc.). Das laufende Projekt ISO/AWI 39004 beschäftigt sich mit deren Sicherheit im Straßenverkehr. Hier wird es zu Überschneidungen und Widersprüchen mit dem nationalen Arbeitsschutzregelwerk in Deutschland kommen. Eine Übernahme ins deutsche Normenwerk ist nicht geplant.

Personalmanagement

Auch Normen im Bereich des Personalmanagements haben nicht die integrative Struktur der HS. Das zuständige ISO/TC 260 verantwortet derzeit fast 30 Normen und technische Spezifikationen. Für den Arbeitsschutz sticht vor allem ISO/TS 24179 hervor, die Arbeitsschutzkennzahlen definiert. Ähnlich wie bei dem Projekt ISO 45004 geht es hier um die Bewertung der Leistungsfähigkeit der Arbeitsschutzmaßnahmen in Unternehmen, allerdings auf Grundlage fest vorgegebener Kennzahlen. Diese sollen Unternehmen weltweit und auch Zeiträume miteinander vergleichbar machen. Problematisch ist jedoch, dass die Vergleichbarkeit der Unfallzahlen auf Grund von länderspezifischen Definitionen nicht gegeben ist, es zu statistischen Verzerrungen kommt und falsche Anreize gesetzt werden, z.B. zum Verschweigen meldepflichtiger Arbeitsunfälle.

Wachsamkeit ist geboten

Zwar findet das Hauptgeschehen von arbeitsschutzrelevanter Managementnormung im ISO/TC 283 statt, aber auch bei anderen Managementnormen ist der Arbeitsschutz immer wieder betroffen. Probleme ergeben sich, wenn es zu Widersprüchen mit dem deutschen Arbeitsschutzregelwerk oder mit Grundprinzipien des Arbeitsschutzes kommt. Die umfassende Beobachtung von Managementnormen ist somit notwendig, um elementare Entwicklungen nicht zu verpassen und frühzeitiges Intervenieren zu ermöglichen.

Freeric Meier
meier@kan.de