Anthropometrie/Körpermaßdaten

Produkte und Arbeitsplätze lassen sich nur sicher und wettbewerbsfähig gestalten, wenn die hierfür verwendeten Körpermaßdaten mit den aktuell in der Bevölkerung vorhandenen Körpermaßen übereinstimmen. Die körperlichen Merkmale der Menschen verändern sich allerdings in der letzten Zeit deutlich, insbesondere die Breiten-, Tiefen-, Umfangs- und Gewichtsmaße. Für bisherige Aktualisierungen waren vor allem Veränderungen der Längenmaße in den letzten Jahrzehnten der Anlass, die sich nun nicht mehr signifikant verändern. Die KAN hat gemeinsam mit dem DIN-Normenausschuss Ergonomie ein Positionspapier zur Situation der Anthropometrie (pdf, nicht barrierefrei) beschlossen.

In Produktnormen werden häufig Daten herangezogen, die veraltet sind oder deren Herkunft unklar ist. Das kann u.U. zu Produkten führen, die für bestimmte Nutzergruppen nicht sicher sind. Einige arbeitsschutzrelevante Beispiele:

  • Körpergewicht: Problematisch wird es aus Sicht des Arbeitsschutzes, wenn die Konstruktion von Produkten, die dafür gedacht sind, Menschen zu tragen oder zu halten, auf einem zu niedrig angesetzten Gewicht der Nutzer beruht. In manchen Fällen ist auch das maximal zulässige Gewicht schlicht nicht ersichtlich. Wenn sich die Normanforderungen oder die vorgesehenen Prüfungen auf 75 kg beziehen, kann die Nutzung für Personen über 75 kg eine Gefährdung darstellen. Ein Beispiel dafür sind Krankenkraftwagen. Hier werden z.B. die Verankerungen für die Trage auf das Gewicht der Trage und einen darauf liegenden Dummy von 75 kg geprüft. Kommt es zu einem Unfall und der Patient wiegt deutlich mehr als 75 kg, kann ein zusätzliches Sicherheitsrisiko entstehen, wenn die Verankerung nicht halten sollte. Die KAN hat von der DIN Software GmbH eine Recherche durchführen lassen, bei der Dokumente (Normen und EU-Dokumente) daraufhin untersucht wurden, ob sie Angaben zum Gewicht von Personen enthalten. In einem KAN-Fachgespräch zu Personengewichten diskutierten über 30 Fachleute von den Unfallversicherungsträgern, Sozialpartnern, den relevanten DIN-Normenausschüssen und aus der Forschung die Ergebnisse der Recherche. Klar ist, dass es keine pauschale Lösung gibt: Die in verschiedensten Normen angegebenen 75 kg überall durch einen höheren Wert zu ersetzen, führt nicht immer zwingend zu mehr Sicherheit. Bei Produkten, die dafür gedacht sind, Menschen zu tragen oder zu halten, ist der Wert aber sicherheitsrelevant und muss überprüft werden. Auch in Normen beschriebene Testverfahren, mit denen das Gewicht von Personen simuliert wird, müssen unter die Lupe genommen werden. Langfristiges Ziel ist es, individuelle Lösungen für die jeweilige Norm auf der Grundlage aktueller Körpergewichte anzustoßen. Zudem möchte die KAN den Bekanntheitsgrad von aktuellen Körpermaßdaten, die bereits durch Normen beispielsweise aus dem Normenausschuss Ergonomie zur Verfügung stehen, in Normungsgremien steigern.
  • Zugangs-/Durchgangsöffnungen: An einer Reihe von Arbeitsplätzen gibt es Öffnungen, deren Dimensionierung auf Körpermaßen beruht. Dazu gehören z.B. auch Notausstiege. Die KAN hat zum Beispiel bei einem Normentwurf zum Führerraum bei Lokomotiven Stellung genommen. Hauptkritikpunkte waren zu geringe Maße für Türen und Notausstiege (z. B. Durchgangshöhen bei Türen von unter 1,70 m oder Mindestinnenmaß von nur 40 cm bei Notausstiegen). Diese Bemaßung muss sich aus Sicht des Arbeitsschutzes am Stand von Wissenschaft und Technik orientieren. Zur Berechnung der erforderlichen Maße müssen aktuelle Körpermaßdaten zugrunde gelegt werden. Mehr zu diesem Thema können Sie im Artikel von Dr. Anja Vomberg in der Eisenbahntechnischen Rundschau (pdf, nicht barrierefrei) lesen.
  • Persönliche Schutzausrüstung (PSA): Die Passform spielt bei PSA für die Schutzwirkung in der Regel eine wichtige Rolle. Die Nichtberücksichtigung der Zunahme der genannten Maße kann zum Verlust der Verwendbarkeit der PSA und ihrer Schutzwirkung führen. Beim Thema Infektionsschutzmasken wird beispielsweise diskutiert, dass in der Normung verschiendenen Kopfgrößen berücksichtigt werden müssen. Im nationalen sowie im europäischen Normungsausschuss arbeiten Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitsschutzkreise mit. Die KAN unterstützt deren Arbeiten und wird das Normungsvorhaben weiterhin begleiten, um die Belange des Arbeitsschutzes bestmöglich einzubringen. Mehr dazu können Sie in KANBrief 1/22 "Normung von Infektionsschutzmasken" lesen.
  • Erreichen wichtiger Stellteile: Das Erreichen von Stellteilen (z.B. Not-AUS oder Pedale im Fahrzeugbereich) ist oft an gängige Sitz- oder Stehpositionen gekoppelt, die bei stark erhöhten Breiten-, Tiefen-, Umfangsmaßen nicht eingenommen werden können (Beispiel: Fahrersitzplatz, bei dem der Sitz durch erhöhten Bauchumfang nach hinten verschoben wird, wodurch die gleichbleibende Länge der Beine dann u.U. nicht mehr ausreicht, um Pedale im vorderen Bereich sicher zu erreichen).
  • Prüffinger: Anhand eines Prüffingers lässt sich testen, ob Gehäuse von Maschinen und Anlagen so konstruiert sind, dass Personen nicht mit gefährlichen Teilen in Berührung kommen können. Ein von der KAN in Auftrag gegebenes Gutachten hat ergeben, dass Prüffinger nach DIN EN 60529 diesen Schutz jedoch nicht immer gewährleisten, da sie nicht den aktuellen anthropometrischen Maßen der Fingerlänge entsprechen. Weitere Informationen finden Sie in dem Flyer Prüffinger zu kurz (pdf). Die KAN setzt sich seit Jahren dafür ein, dass die Maße in der Norm angepasst werden.
  • Sicherheit von Sitzmöbeln: Auch hier führt die Nichtberücksichtigung der Zunahme der genannten Maße zu Problemen. Normen zu Sitzmöbeln müssten nicht nur die Gewichtszunahme hinsichtlich der Tragfähigkeit berücksichtigen, sondern auch die Sitzfläche anpassen und das veränderte Kippverhalten beim Aufstehen von Personen mit höherem Gewicht berücksichtigen.
  • Dimensionierung von Flucht- und Rettungswegen: Das bei der Dimensionierung von Fluchtwegen zu berücksichtigende Maximalmaß des Körperumfangs hat sich in den letzten Jahren stark nach oben verschoben, so dass davon auszugehen ist, dass die aktuell genutzten Grenzwerte nicht ausreichen.
  • Arbeiten im Gesundheitsdienst/Patientenhandling: Bei Produkten im Bereich Gesundheitsdienst/Patientenhandling (z.B. Hebehilfen) gibt es keine verpflichtende Kennzeichnung der maximalen Traglast am Produkt. Nach Meldungen der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ist in der Praxis die Kennzeichnung an Hilfsmitteln, die Patienten tragen oder halten, vollkommen unzureichend. Für die Pflegebranche stellt dies ein großes Problem dar. Neben der Unfallgefahr, die beim Zusammenbruch für die Pflegenden besteht, können auch psychische Belastungen die Folge sein. Da Nutzerinformation oft nicht vorhanden sind, könnten ggf. Haftungsfragen zu klären sein. Eine Information in den Benutzerhinweisen reicht nicht aus, da Anwender von Hilfsmitteln und Patienten häufig wechseln. Die KAN setzt sich dafür ein, dass Hilfsmittel, die dazu bestimmt sind, Patienten oder Nutzer zu tragen oder zu halten, mit der maximalen sicheren Arbeitslast auf dem Hilfsmittel selbst gekennzeichnet werden. Die Kennzeichnung muss gut sichtbar und in ausreichender Schriftgröße sein. Die Dauerhaftigkeit der Kennzeichnung muss der Belastung während des bestimmungsgemäßen Gebrauchs entsprechen (z.B. Reinigung oder Desinfektion bei Wechsel des Nutzers). Die KAN hat in diesem Bereich bereits zahlreiche Stellungnahmen zu Normen abgegeben.


Haben Sie Fragen zu diesem Thema oder brauchen Unterstützung? Dann wenden Sie sich gerne an Frau von Rymon Lipinski.