KANBrief 1/13

Dienstleistungen normen: Potentiale nutzen, Gefahren erkennen

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und das Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN) hatten im November 2012 zur 2. Mittelstandskonferenz „Erfolgsfaktor Normung“ nach Berlin eingeladen, um zu erörtern, wie die Anwendung von Normen und die Beteiligung an der Normung für Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) erleichtert werden kann. Neben der Darstellung der aus der 1. Konferenz erzielten Erfolge stand die neue EU-Normungsverordnung (Nr. 1025/2012 zur europäischen Normung) im Fokus, die explizit neben der Produkt- auch die Dienstleistungsnormung anstrebt.

Dienstleistungen zu normen, erscheint auf den ersten Blick nicht selbstverständlich. Letztlich sind jedoch auch Dienstleistungen Produkte, die am Markt verkauft werden. Virtuelle Produkte zwar, aber mit enormem Potential für den Binnenmarkt: Rund 70 Prozent der Bruttowertschöpfung in der EU werden mit Dienstleistungen generiert. Aber im Wesentlichen national. Dienstleistungen vergleichbarer machen und somit den grenzübergreifenden EU-Markt ankurbeln – das ist ein Ziel der Verordnung.

Qualität verbessern, aber keine Qualifikationen normen

Im Unterschied zu Produkten werden Dienstleistungen am Kunden erbracht und sind meist individuell ausgestaltet. Das Handwerk sieht in der neuen EU-Verordnung daher vor allem eine Gefahr: „Wenn es nicht gelingt, Prozesse zu normieren, kann es darauf hinauslaufen, Anforderungen an die Kompetenz und die Sachkunde derjenigen zu definieren, die die Dienstleistung erbringen. Ganz am Ende dieses Prozesses könnte eine ausufernde Personenzertifizierung stehen, die sich nicht nur auf Qualifikationen, sondern auch auf Berufsabschlüsse erstreckt“, mahnte Dirk Palige, Geschäftsführer des Deutschen Handwerkskammertages. Fortschritte im Dienstleistungssektor können auch neue Berufsbilder hervorrufen. Dass Anforderungen an die Qualifizierung und Prüfungsintervalle allerdings schon jetzt in Normen festgeschrieben werden, stimmt Palige nachdenklich: „Langfristig könnte diese Entwicklung das duale Berufsbildungssystem gefährden“.

Erst den Nutzen bestimmen, dann normen

Die EU-Verordnung selbst sieht für zukünftige Norm-Projekte vor, dass diese „freiwillig und marktorientiert sein [sollten], wobei die Bedürfnisse der unmittelbar oder mittelbar von der Norm betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und Interessenträger ausschlaggebend sind“. Dr. Rainer Jäkel, Unterabteilungsleiter im BMWi, sprach sogar vom Kriterium der „Marktgetriebenheit“ kommender Dienstleistungsnormen. Doch, wer definiert den Nutzen einer Dienstleistung, zumal die Interessen hier sehr unterschiedlich sind?

Im Grundsatz müssen die Beteiligten selbst involviert werden: „Das nationale Delegationsprinzip“, so Jäkel, „sichert die effiziente Beteiligung von KMU, aber z.B. auch des Arbeitsschutzes an der Normung. Bei der Vergabe von Mandaten für Dienstleistungsnormen können wir zudem durch das nationale Mitspracherecht prüfen, ob die EU-Kommission die – auf unseren Wunsch in der Verordnung ausdrücklich genannten – nationalen Kompetenzen respektiert, z.B. bei der beruflichen Bildung, bei sozialen oder Gesundheitsdienstleistungen.“

Eine Strategie für die Dienstleistungsnormung wird gebraucht und auch gefordert. Das DIN hat mit der Einrichtung der Kommission Mittelstand (KOMMIT) 2008 bereits einen wichtigen Schritt getan, um KMU besser in die Normung einzubinden und die Transparenz zu erhöhen. So, wie es nun auch die EU-Verordnung fordert. Derzeit strukturiert die Koordinierungsstelle Dienstleistungen im DIN in Zusammenarbeit mit der KOMMIT die Bereiche des Dienstleistungsmarktes, um eine Übersicht über sinnvolle Norm-Projekte zu erhalten. Der Direktor des DIN, Dr.-Ing. Torsten Bahke, mahnt in diesem Zusammenhang an, dass es wichtig sei, sich frühzeitig Gedanken über die Marktrelevanz zu machen: „Nicht alles soll und muss genormt werden. Wenn wir in Europa etwas in unserem Sinne gestalten wollen, ist es allerhöchste Zeit, die Diskussion, ob Dienstleistungsnormung generell gut oder schlecht ist, zu verlassen und in eine detaillierte Strategiediskussion einzusteigen. Unser Ziel muss es sein, den europäischen Binnenmarkt mit Norm-Projekten zu unterstützen. Wir wollen Wettbewerb und keine Marktabschottung.“

Der Arbeitsschutz erkennt den Nutzen genormter Dienstleistungen für den europäischen Binnenmarkt an. Anforderungen an die Sicherheit und Gesundheit der Dienstleistungserbringer obliegen allerdings immer noch nationalen Gesetzen und Regelungen außerhalb der Normung. Daher heißt es, genau hinzuschauen, was genormt wird (siehe auch KAN-Artikel).

Karl-Josef Thielen