KANBrief 4/16

Normung von Erdbaumaschinen: vom Schreibtisch auf die Baustelle

Haben diejenigen, die Normen schreiben und Regeln festlegen, immer ausreichend Bezug zur Praxis? Um sich ein Bild davon zu machen, ob gewisse Forderungen für Sichtverhältnisse an Erdbaumaschinen überhaupt realistisch und umsetzbar sind, haben Vertreter von Marktüberwachungsbehörden und Normung gemeinsam einen Tag in einem Betrieb verbracht und viele unterschiedliche Maschinen unter die Lupe genommen.

Fahrbewegungen stellen bei mobilen Maschinen nach dem Heben von Lasten die zweithäufigste Unfallursache dar. Häufig sind Zusammenstöße mit Personen auf unzureichende Sichtverhältnisse zurückzuführen. Neben Flurförderzeugen sind Erdbaumaschinen aufgrund ihres speziellen Einsatzbereiches besonders unfallträchtig. Studien des INRS zufolge (Studien ND 2318 (pdf) und ND 2345 (pdf, auf Französisch)) könnte die Verbesserung der direkten Sicht etwa ein Drittel der Unfälle verhindern oder deren Schwere deutlich verringern.

Die Marktüberwachungsbehörden der Mitgliedstaaten wurden auf die Vielzahl der Unfälle aufmerksam und stellten fest, dass die Norm ISO 5006 zum Sichtfeld bei Erdbaumaschinen nicht mehr dem Stand der Technik entsprach. Die Europäische Kommission hat daher 2013 der Norm EN 474-1 (Erdbaumaschinen – Sicherheit – Teil 1: Allgemeine Anforderungen), die die Sicherheit von Erdbaumaschinen behandelt und zum Thema Sicht auf die ISO 5006 verweist, für diesen Aspekt die Vermutungswirkung entzogen.

Der Marktüberwachung stellte sich damit die Frage, nach welchen konkreten Kriterien sie die Sichtverhältnisse beurteilen sollten. Die Task Force „Erdbaumaschinen“ der europäischen Koordinierungsgruppe der Marktüberwachungsbehörden (ADCO) stellte fünf Punkte zur Verbesserung der Norm auf, bei deren Erfüllung von ausreichenden Sichtverhältnissen auszugehen ist (Siehe KANBrief 4/14). Die ADCO-Gruppe und die Europäische Kommission haben diesen zugestimmt. Das Normungsgremium griff die Punkte auf, diskutierte an einigen Stellen jedoch auch mögliche Alternativen.

Bessere Verständigung – aber wie?

Im Zuge der Abstimmungsgespräche zwischen Normungsgremium und ADCO wurde deutlich, dass es für beide Seiten hilfreich wäre, die Problematik und mögliche Lösungen an praktischen Beispielen zu veranschaulichen. Auf Initiative der ADCO-Task-Force und mit Unterstützung der BG BAU fand im März 2015 auf dem Gelände eines deutschen Importeurs von Erdbaumaschinen eine Sitzung von Vertretern einzelner Hersteller, des Europäischen Herstellerverbandes für Baumaschinen (CECE), des Arbeitsschutzes und der in der ADCO-Task-Force „Erdbaumaschinen“ vertretenen Mitgliedstaaten statt.

Der Obmann der ISO-Arbeitsgruppe, Charles Crowell, berichtete über den Stand der Überarbeitung der ISO 5006. Kurt Hey (BG BAU) stellte die 2006 beschlossene Methode vor: Für die Nahsicht muss ein Messkörper in 1 m Abstand von der Maschine überall sichtbar sein; zusätzlich wird die zulässige Verschattung auf einer Kreislinie in 12 m Abstand vom Fahrerplatz geprüft.

Maschinen live erleben

Auf einem Freigelände wurden Sichtfeld-Messungen bei einem hydraulischen Kettenbagger durchgeführt. Vertreter der Mitgliedstaaten und des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI) erprobten diese auch selbst. Zudem wurde an einer Straßenkehrmaschine ein automatisches Mess- und Aufzeichnungssystem vorgeführt, das sich auch auf andere Maschinen übertragen ließe.

An verschiedenen Maschinen konnten die Teilnehmer den Nutzen von Vorrichtungen wie Rückspiegeln und Kameras genauer begutachten. Dazu standen unter anderem ein Schaufellader, ein Kompaktlader, ein Vorderkipper, eine Tandemwalze, hydraulische Bagger verschiedener Größen und Planierraupen bereit.

Zum Abschluss wurden zwei Maschinengenerationen verglichen, an denen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der neuesten Immissionsschutzregelung (TIER 4) deutlich wurden: Diese erfordert großvolumigere Motoren und Abgassysteme, die die Sichtverbesserungen teilweise wieder aufheben.

In lebhaften Diskussionen ging es unter anderem darum, die Normanforderungen so zu erweitern, dass der gesamte Bereich zwischen 1-m- und 12-m-Umkreis betrachtet wird. Tote Winkel könnten so besser vermieden werden.

Nachahmung empfohlen

Das Treffen wurde sehr positiv aufgenommen, da es einen Einblick in die Vielfalt der Maschinen und Einflussgrößen bot und das gegenseitige Verständnis aller Beteiligten gefördert hat. Wir werden sicher auch künftig auf dieses Vorgehen zurückgreifen und denken, dass es auch anderen Normungsgremien von Nutzen sein kann.

Pierre Picart
Vorsitzender der ADCO-Task-Force Erdbaumaschinen
Französisches Arbeitsministerium

pierre.picart@dgt.travail.gouv.fr