KANBrief 4/16

Gleisbauarbeiten – aus dem Gleis gelaufen?

Arbeiten an und in Eisenbahngleisen finden in einem besonderen Umfeld statt und bringen vielfältige Gefährdungen für die Beschäftigten mit sich. Daraus leitet sich eine besondere Aufmerksamkeit für die Sicherungsmaßnahmen ab. Eine europäische Norm für Gleisbauarbeiten integriert Eignungsuntersuchungen in diese Maßnahmen. Dies ist aus deutscher Sicht problematisch, da Regelungen zur Eignung einem Gesetz vorbehalten sind.

Im November 2014 wurde der Entwurf zur EN 16704-3 „Bahnanwendungen – Oberbau – Sicherungsmaßnahmen während Gleisbauarbeiten“ vom zuständigen Normenausschuss vorgelegt. Dieser Teil 3 legt Fachkenntnisse des Personals bei Arbeiten neben oder in den Gleisen fest und stellt Beurteilungsverfahren für diese vor. Zu den Fachkenntnissen zählen auch medizinische und psychologische Anforderungen (z.B. Sehvermögen, Bewegungsfähigkeit, Aufnahmevermögen und gefühlsbezogene Selbstbeherrschung).

Die KAN hat im November 2014 in einer Stellungnahme darum gebeten, den Entwurf in dieser Fassung nicht zu verabschieden, da dieser in den Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes eingreift, der in Europa nationalen Regelungen vorbehalten ist (In Deutschland geregelt in DGUV-Regel 101-024 „Sicherungsmaßnahmen bei Arbeiten im Gleisbereich von Eisenbahnen“ und DGUV-Vorschrift 77 „Arbeiten im Bereich von Gleisen“). Als Ergebnis der Einspruchssitzung wurde beschlossen, die europäische Norm bei Erscheinen um ein nationales Vorwort zu ergänzen und in der Norm selbst auf den Vorrang rechtlich bindender nationaler Vorschriften hinzuweisen.

Im Schlussentwurf der Norm von Mai 2016 ist zwar der Hinweis auf nationale Vorschriften enthalten. Allerdings ist das Grundkonzept der Norm, nämlich medizinische und psychologische Untersuchungen als Grundlage für eine sogenannte „Gleissicherheitskarte“ (Dokument, das bestätigt, dass die speziellen Fachkenntnisse, zu denen auch die angesprochenen Untersuchungen zählen, einer Person in Bezug auf die Anforderungen der vorliegenden Norm nachgewiesen wurden) zu nutzen, weiterhin erhalten geblieben.

Sozialpartner und Staat nehmen erneut Stellung
Die Sozialpartner sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) haben zum Schlussentwurf jeweils einzelne, in der Forderung gleiche Stellungnahmen abgegeben. Sie forderten das deutsche Spiegelgremium auf, dem Schlussentwurf nicht zuzustimmen.

In der Einspruchssitzung im Juni 2016 betonten sie, dass sie an einer Regelung für die Sicherheit der betroffenen Beschäftigten großes Interesse haben. Die Normung sei aber nicht das geeignete Instrument, um konkrete Anforderungen an die psychologische und körperliche Eignung der Beschäftigten festzulegen.

Als Ergebnis der Einspruchsberatung bleibt der Beschluss eines nationalen Vorwortes, welches unter Einbezug der KAN formuliert wird, bestehen. Darüber hinaus hat der Ausschuss beschlossen, im Anschluss an die Veröffentlichung der Norm eine sofortige Überarbeitung und eine A-Abweichung für Deutschland zu beantragen. Diese dient dazu, bestimmte Passagen einer europäischen Norm, die im Widerspruch zu nationalen Rechtsvorschriften stehen, zu ändern, ergänzen oder zu streichen. Sie soll das nationale Vorwort ersetzen.

Der zuständige europäische Normenausschuss hat im Herbst 2016 der Veröffentlichung der EN 16704-3 zugestimmt. Die Sozialpartner und das BMAS werden sich aktiv an der Erstellung der A-Abweichung beteiligen.

Daniela Tieves-Sander

Das sagen die Akteure

"Normen können keine verbindlichen Festlegungen für die Feststellung der Eignung treffen. Sie sind keine geeignete Rechtsgrundlage für die Durchführung von Eignungsuntersuchungen, sondern haben im Rechtssinn lediglich einen unverbindlichen empfehlenden Charakter." - Bundesministerium für Arbeit und Soziales

"Eignungsuntersuchungen müssen klar von arbeitsmedizinischer Vorsorge getrennt werden. Sie greifen im Gleisbau tief in Persönlichkeitsrechte ein, weil sie maßgeblich über die Aufnahme oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen entscheiden. Daher müssen sie verhältnismäßig sein und sollten auf staatlichen Regelungen und kollektiven Vereinbarungen statt auf Normen beruhen." - Dr. Christian Gravert, Deutsche Bahn AG

"So wie der Schuster bei seinen Leisten, sollte die Normung dabei bleiben, was sie kann. Es gibt keine Parameter, die eine verallgemeinerbare Aussage zur Eignung zulassen. Für die Beschreibung der pesönlichen Eignung von Beschäftigten ist eine Norm daher gänzlich ungeeignet. Wenn überhaupt, muss es eine staatliche Festlegung für Eignungsanforderungen geben. Selbst dann ist aber klar: Technische Lösungen haben im Arbeitsschutz immer Vorrang!" - Heinz Fritsche, IG Metall