KANBrief 1/15

TTIP: Gegenseitige Anerkennung von Normen als möglicher Weg?

In Europa hat sich der Weg einer europäischen Harmonisierung von Rechtsvorschriften, Normen und Konformitätsbewertungsverfahren bewährt. Für die Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) scheint für viele dagegen statt einer Harmonisierung eine gegenseitige Anerkennung verlockend. Bei genauem Hinsehen ist dieser Ansatz jedoch problematisch.

Das EU-Verhandlungsmandat nennt als Ziel für TTIP den Abbau unnötiger Handelshemmnisse. Beseitigt werden sollen die Hemmnisse unter anderem durch gegenseitige Anerkennung oder durch Harmonisierung. Eine Bewertung, in welchen Fällen und unter welchen Bedingungen eine gegenseitige Anerkennung aus Sicht der EU in Frage kommt, wird allerdings nicht vorgenommen.

Die DGUV hat zusammen mit der KAN und dem polnischen Arbeitsschutzinstitut CIOP-PIB analysiert, welche Auswirkungen die gegenseitige Anerkennung im Bereich technischer Vorschriften, Normen und Konformitätsbewertungsverfahren bei Arbeitsmitteln (z.B. Maschinen und elektrotechnischen Erzeugnissen) und Schutzausrüstungen haben kann (Technische Vorschriften, Normen und Konformitätsbewertungsverfahren: Problematik der gegenseitigen Anerkennung. November 2014). Dabei wurde festgestellt, dass in diesen Bereichen die zugrundeliegenden Prinzipien und die Verantwortungsverteilung zwischen den betroffenen Marktteilnehmern in der EU und den USA so unterschiedlich sind, dass eine gegenseitige Anerkennung zu Gefährdungen führen kann.

Dies liegt nicht etwa daran, dass es in den USA einen geringeren Anspruch an Sicherheit und Gesundheitsschutz gäbe, sondern an den unterschiedlichen Rechts-, Sicherheits- und Normungsphilosophien sowie an der unterschiedlichen Rolle, die die Produktnormen darin spielen. Die Ansätze unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht grundlegend, z.B. bei der Hierarchie der Schutzmaßnahmen und der Widerspruchsfreiheit im Normenwerk, beides Aspekte, die für die Normung in der EU prägend sind.

Schutzniveaus kaum vergleichbar

Ein Vergleich der Schutzniveaus der EU und der USA ist aufgrund der unterschiedlichen Ansätze äußerst schwierig. Aber selbst bei einem gleichwertigen Schutzniveau können sich durch eine gegenseitige Anerkennung von Normen oder Konformitätsbewertungsverfahren Gefährdungen ergeben. Dies zeigt sich an folgenden Beispielen:

  • Feuerwehrschutzkleidung: Während in den USA Feuerwehrleute in der Regel nur eine bestimmte Aufgabe ausführen (z.B. Brandbekämpfung oder Lebensrettung), sollen Feuerwehrleute in Deutschland und anderen europäischen Ländern universell einsetzbar sein – die Schutzkleidung ist dabei für den jeweiligen Einsatzzweck optimiert. Die universelle Bekleidung und die Bekleidung für spezielle Zwecke lassen sich allerdings nicht kombinieren. Eine gegenseitige Anerkennung könnte dazu führen, dass auf beiden Seiten des Atlantiks die jeweils weniger geeignete Schutzkleidung zum Einsatz kommt.
     
  • Atemschutzmasken als lebensrettende persönliche Schutzausrüstungen müssen in der EU vor ihrem Inverkehrbringen durch eine notifizierte Stelle geprüft werden. Bestandteil der Prüfung ist u.a., ob die Maske dicht ist. Verwender verlassen sich darauf, dass diese Drittprüfung erfolgreich durchgeführt wurde. In den USA sind statt der Drittprüfung die Nutzer durch Arbeitsschutzvorschriften verpflichtet, Atemschutzmasken vor dem Einsatz auf Dichtheit zu überprüfen. Beide Ansätze können jeweils zu einer sicheren Verwendung der Atemschutzmasken führen. Würden jedoch US-amerikanische Masken in der EU in Verkehr gebracht, ohne dass die Verwender die fehlende Drittprüfung der Dichtheit erkennen können, kann dies tödliche Folgen nach sich ziehen.

Der BDI weist darauf hin, dass eine gegenseitige Anerkennung komplexe Prüfungen und Vereinbarungen auf beiden Seiten des Atlantiks sowie ein vergleichbares Schutzniveau erfordert. Er stellt fest, dass die Vorschriften beispielsweise im Maschinenbau derzeit hierfür noch zu unterschiedlich sind (BDI: Stellungnahme zur öffentlichen Darstellung von TTIP, September 2014; S. 1-2). Hier muss es zunächst darum gehen, die Kompatibilität der Systeme zu verbessern.

Würden durch die gegenseitige Anerkennung Normen amerikanischer Normungsorganisationen neben Europäischen Normen gelten, wäre das das Ende des widerspruchsfreien europäischen Normenwerks, in dem es für jeden genormten Gegenstand nur eine Norm gibt und entgegenstehende nationale Normen zurückgezogen werden müssen. Der New Approach, der wesentlich zum europäischen Binnenmarkt für Waren beigetragen hat und die Grundlage für sichere Produkte in der EU bildet, wäre damit fundamental in Frage gestellt.

Rüdiger Reitz
ruediger.reitz@dguv.de