KANBrief 3/16

Mensch-Roboter-Kollaboration

Die Mensch-Roboter-Kollaboration ist elementar für die Weiterentwicklung wandlungsfähiger Produktionsanlagen der Industrie 4.0. Mit der steigenden Nachfrage nach innovativen Technologien steigt auch der Wunsch nach allgemein anwendbaren Sicherheitskonzepten. Daimler hat eine solche Vorgehensweise in modularer Form entwickelt, die auf alle Projekte der Mensch-Roboter-Kollaboration im Unternehmen angewendet werden kann.

Am Zukunftsmodell der Mensch-Roboter-Kollaboration entstehen grundsätzlich keine neuen Gefährdungsklassen, sondern es sind die typischen Gefährdungen, die aufgrund der neuartigen Gesamtsituation neu bewertet werden müssen. Risiken mit Auswirkung auf die psychischen Belastungsfaktoren aufgrund neuer Arbeitsorganisation, Arbeitsprozesse und persönlicher Qualifikation, die sich auch auf die Akzeptanz der Belegschaft ausweiten können, sind eher anwendungsspezifisch. Risiken, die jedoch alle Mensch-Roboter-Kollaborationen gemeinsam haben, betreffen in erster Linie das Sicherheitskonzept.

Gefährdungen wie Quetschen und Stoßen an Maschinenteilen wurden durch den klassischen Schutzzaun und weitere trennende Schutzeinrichtungen weitgehend verhindert. Lässt man diese weg, ist der erste Gedanke der Einsatz von berührungslos wirkenden Schutzeinrichtungen zur Personenerkennung. Hohe sicherheitstechnische Anforderungen an diese Bauteile, gekoppelt mit einem hohen Sicherheitsabstand, ergeben jedoch ein wirtschaftlich und räumlich kaum tragbares Anlagenkonzept. Zudem ist dann noch nicht von Kollaboration die Rede, sondern es handelt sich hierbei mehr um eine Ersatzmaßnahme für den Schutzzaun.

Die Risikobeurteilung als Fundament

Als Grundlage des neuen Sicherheitskonzepts für kollaborierende Roboter ist die Berücksichtigung der biomechanischen Belastungsfaktoren unumgänglich. Sozusagen eine Worst-Case-Absicherung der „kontrollierten Kollision“. Die Risikobeurteilung sollte von Anfang an den Ausschluss dieser Quetsch- und Stoßsituationen zum Ziel haben. Sie beginnt bereits bei der Auswahl beziehungsweise Auslegung des Arbeitsplatzes. Wer soll hier arbeiten? Was soll hier gemacht werden? Welche Werkstücke sollen bearbeitet werden und welche Werkzeuge werden dafür benötigt?

Baukasten – Sicherheit mit System

Sind die Arbeitsschritte definiert, so geht es an das Anlagenkonzept. Die Eigensicherheit eines Roboters als unvollständige Maschine ist dabei nicht einmal ausschlaggebend, sondern das Gesamtkonzept muss sicher sein. Dazu gehören auch Werkzeug, Werkstück, weitere Arbeitsmittel und Umgebungsbedingungen. Ein Baukastenprinzip, welches unterschiedliche Sicherheitstechniken für jede dieser Stufen (Werkzeug, Werkstück etc.) bereitstellt, ist von Vorteil. Beispielsweise bringt ein feinfühliger Roboter wenig, wenn der Greifer unsicher ist und obendrein scharfkantige Bauteile von A nach B übergeben werden müssen. Fingerquetschungen am Greifer und Schnittverletzungen durch das Bauteil sind ansonsten an der Tagesordnung.

Um auch die Effizienz nicht aus den Augen zu verlieren, ist es notwendig, die Arbeitsbereiche klar nach bestimmungsgemäßer Verwendung, vernünftigerweise vorhersehbarer Fehlanwendung und Fehlanwendung zu kategorisieren. Eindeutig definierte Sicherheitsabstände und Zugriffszonen sowie eine gute Arbeitsorganisation sind nur drei Beispiele für Aspekte, die berücksichtigt werden müssen.

Ist das Gesamtkonzept ausgelegt, geht es an die Validierung und Verifizierung der übrig gebliebenen Quetsch- und Stoßstellen. Dabei muss eine sinnvolle Korrelation der Gefahrenstellen zum Körpermodell erfolgen. Da es sich hier um dynamisch komplexe Arbeitssysteme handelt und die Wandlungsfähigkeit im Vordergrund steht, sollte das Sicherheitskonzept stets flexibel und skalierbar sein. Diese Voraussetzung gilt auch für das Messsystem und kann damit eine gute Grundlage für ein zukünftiges Simulationsmodell bilden.

Unterweisung des Menschen bleibt zentraler Bestandteil

Die Risikobeurteilungen des Herstellers und des Integrators sind ein essentielles Element des Sicherheitskonzepts. Als Anwender und Betreiber ist das Restrisiko-Management von mindestens gleichwertiger Bedeutung. Transparenz über die Bewegungsabläufe und Sicherheitsfunktionen des Roboters gehören zum Standard jeder Unterweisung dazu, um eine sichere Bedienung zu ermöglichen. Zusätzlich sollte gewährleistet sein, dass der Mensch immer die Kontrolle über den Roboter hat und nicht umgekehrt.

Dr. Stephan Bürkner
stephan.buerkner@daimler.com