KANBrief 2/12

Prüffinger: Geprüft und für zu kurz befunden

Anhand eines Prüffingers lässt sich testen, ob Gehäuse von Maschinen und Anlagen so konstruiert sind, dass Personen nicht mit gefährlichen Teilen in Berührung kommen können. Ein von der KAN in Auftrag gegebenes Gutachten Flyer Prüffinger (pdf, nicht barrierefrei) hat ergeben, dass Prüffinger nach DIN EN 60529 diesen Schutz jedoch nicht immer gewährleisten.

Gehäuse müssen sicherstellen, dass Personen keine gefährlichen elektrischen oder mechanischen Teile berühren können. Um dies zu überprüfen, wird ein gegliederter Prüffinger verwendet, der einen menschlichen Finger nachbilden soll. Die Gestaltung des Prüffingers ist in der Norm DIN EN 60529:2000 „Schutzarten durch Gehäuse (IP-Code)“ mit einer Länge von 80 mm und einem Durchmesser von 12 mm festgelegt.
Im Zuge der KAN-Studie zu anthropometrischen Daten in Normen (KAN-Bericht 44 Anthropometrische Daten in Normen (pdf, nicht barrierefrei) wurde festgestellt, dass die vor mehr als 30 Jahren festgelegte Länge des Prüffingers nicht mehr den anthropometrischen Gegebenheiten in der Bevölkerung entspricht. Daher wurde im Juni 2011 das Institut ASER (Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie, Wuppertal) beauftragt, die zugrundeliegenden Daten auf ihre Aktualität zu überprüfen. Neben Länge und Breite des Fingers sollten auch Faktoren wie eine realitätsnahe Gelenkwinkelkette und der Einfluss von Fingernägeln berücksichtigt werden. In einem ersten Schritt wurden aktuelle Verteilungen von Zeigefingerlänge und -breite mit den Abmessungen des Prüffingers verglichen. Neben den deutschen wurden auf der Grundlage des ISO/TR 7250-2 „Wesentliche Maße des menschlichen Körpers für die technische Gestaltung – Teil 2: Anthropometrische Datenbanken einzelner Bevölkerungen von ISO-Mitgliedsländern“ auch Daten anderer Länder in die Auswertung einbezogen.

Prüffinger muss länger werden

Ergebnis des Gutachtens ist, dass der Prüffingerdurchmesser ein hohes Schutzniveau bietet: Die Fingerbreite nahezu aller erwachsenen Personen ist sowohl in Deutschland als auch in anderen ISO-Ländern mit Werten zwischen 14 und 18 mm deutlich größer als der Durchmesser des Prüffingers von 12 mm. Damit ist gewährleistet, dass Gehäuseöffnungen, in die der Prüffinger nicht eindringen kann, auch für menschliche Finger unzugänglich sind.

Anders ist dies jedoch im Fall der Prüffingerlänge: Bei der aktuellen Länge von 80 mm ist in Deutschland für einen nicht unerheblichen Prozentsatz an Personen die Schutzwirkung nicht vollständig gegeben. Werden zusätzlich die in anderen Ländern erhobenen Verteilungen der Zeigefingerlänge einbezogen, zeigt sich eine noch größere Abweichung zur Prüffingerlänge. Aus anthropometrischer Sicht ist daher eine Verlängerung des Prüffingers notwendig.

Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass eine Prüffingerlänge von mehr als 90 mm notwendig ist, um der tatsächlichen Zeigefingerlänge der Bevölkerung in den betrachteten Ländern gerecht zu werden. Um die Längenverteilung möglichst aller Länder und die potenzielle Eindringtiefe des Zeigefingers zu berücksichtigen, die aufgrund der Hautfalte am Fingeransatz größer ist als die nach Norm gemessene Länge, wird ein Zuschlag von 15 mm vorgeschlagen. Damit auch die unterschiedlichen Längen von Fingernägeln in die Gestaltung des Prüffingers einfließen, ist ein weiterer Zuschlag von 5 mm Länge erforderlich.

Die Norm EN ISO 13857 zu Sicherheitsabständen an Maschinen („Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsabstände gegen das Erreichen von Gefährdungsbereichen mit den oberen und unteren Gliedmaßen“) sieht für quadratische Öffnungen, in die ein Finger eindringen kann (12 bis 20 mm), einen Sicherheitsabstand von mindestens 120 mm vor. Damit der Prüffinger auch diese Norm abdecken kann, ist insgesamt eine Länge von 120 mm notwendig.

Zur Länge der einzelnen Prüffingerglieder nach DIN EN 60529 ist festzuhalten, dass diese nicht den realen Zeigefingern entspricht. Während beim Prüffinger das unterste (körpernahe) Glied die geringste Länge aufweist, ist beim Menschen in der Regel das oberste Fingerglied am kürzesten. Eine worst-case-Betrachtung (lange dünne Finger) wird jedoch als ausreichend erachtet. Es ist nicht notwendig, verschiedene Arten von Prüffingern in der Norm vorzugeben.

Zur Umsetzung der Gutachtenergebnisse schlägt das Institut ASER den Einsatz einer aufsteckbaren Hülse bei der Prüfung größerer Gehäuseöffnungen vor. Die KAN wird in einem Ergonomie-Workshop mit Experten darüber beraten, ob diese Lösung praxistauglich ist und wie die Ergebnisse des Gutachtens bestmöglich umgesetzt werden können.

 

Dr. Beate Schlutter
schlutter@kan.de