KANBrief 3/15

Die KAN stellt sich der veränderten Normungswelt

Dr. Dirk Watermann leitet seit Juni 2014 die Geschäftsstelle der Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) in Sankt Augustin. Zuvor hatte der Bauingenieur verschiedene Positionen bei der BG BAU inne und war außerdem Convenor in der internationalen Normung. Im Interview sprechen wir mit ihm über die anstehenden Aufgaben und Themenschwerpunkte der KAN. 

Herr Dr. Watermann, wie war das erste Jahr als Leiter der KAN-Geschäftsstelle?

Interessant, aufregend und herausfordernd – und das bei dem allgemein als langweilig eingestuften Thema Normung. Es ist wahnsinnig viel im Umbruch, eingefahrene Strukturen brechen auf, neue Handlungsfelder mit anderen Herausforderungen und anderen Partnern entstehen. Durch die ausgezeichnete Unterstützung des KAN-Vorstandes, der KAN-Mitglieder und insbesondere meiner neuen Kolleginnen und Kollegen konnten wir im vergangenen Jahr viel bewegen, umsetzen und anstoßen.

Können Sie uns einige Beispiele nennen?

Ja, Themen waren zum Beispiel die sich stark ausweitende Normung von Dienstleistungen, Qualifikationsanforderungen und Managementsystemen, das neue Grundsatzpapier zur Normung im betrieblichen Arbeitsschutz und die Analyse möglicher Auswirkungen von Freihandelsabkommen. Dem haben wir uns gestellt und durch Positionspapiere, gemeinsame Stellungnahmen, Webinare und Informationsveranstaltungen mit Partnerinstitutionen auf nationaler und internationaler Ebene die Position des Arbeitsschutzes vertreten. Im Rahmen von Studien befassen wir uns zurzeit mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Normung und mit dem Stand der Normung zur Nanotechnologie.

Welche Rolle spielen denn Freihandelsabkommen für die KAN?

Gerade zum TTIP laufen die politischen Diskussionen zurzeit auf Hochtouren. Im Fokus der KAN stehen eher die technischen Details, insbesondere die gegenseitige Anerkennung des Normenwerkes und die Auswirkungen auf den Arbeitsschutz. Anhand von Beispielen im Bereich von PSA und Sicherheitskennzeichnung haben wir aufgezeigt, welche Risiken eine ungeprüfte gegenseitige Anerkennung für den Arbeitsschutz in der EU und in Deutschland mit sich bringen kann.

Wo sehen Sie in den kommenden Jahren die Schwerpunkte der KAN?

Schwerpunkt unserer Arbeit wird nach wie vor die Normung sicherer und ergonomischer Produkte sein. Gleichzeitig fordern die hochdynamischen neuen Normungsfelder von allen Akteuren eine veränderte Herangehensweise.

Durch die zunehmende Digitalisierung werden sich auch die Normungswelt und die Normungszyklen verändern. Schlagworte wie Industrie 4.0, Ambient Intelligence, kollaborierende Roboter und teil- und hochautonome Systeme sind nur einige Beispiele. Es ist sicher richtig, dass wir im Hochtechnologie- und ICT-Bereich nicht 3-5 Jahre auf eine Norm warten können, wenn die Produktentwicklungszyklen deutlich darunter liegen. Neue Erarbeitungsmodelle sind bereits angedacht. Dabei gilt es sicherzustellen, dass alle Kreise ausreichend am Normungsprozess beteiligt werden.

Eine weitere Herausforderung ist künftig die zunehmende Entwicklung von normenähnlichen Vereinbarungen außerhalb der klassischen Normung, eben ohne die Anhörung aller zu beteiligenden Kreise, aber mit erheblichen Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen Bereiche.

Darüber hinaus sehen wir uns auf ISO-Ebene einer zunehmenden Anzahl von Normen mit arbeitsschutzrelevanten Inhalten gegenüber. Wir sind auch auf diesen Feldern in ständigem Kontakt mit den nationalen und europäischen Arbeitsschutzkreisen, um gemeinsame Positionen zu entwickeln und diese national und international zu vertreten.

Brauchen wir also eine europäische KAN?

Eine europäische KAN wäre sicher eine hervorragende Plattform, um dem Arbeitsschutz in der Normung eine gewichtigere Stimme zu geben. Allerdings wäre das nicht mit dem nationalen Delegationsprinzip in der Normung vereinbar. Außerdem stellen wir zunehmend fest, dass die Rolle des Arbeitsschutzes in der Normung in Europa durchaus unterschiedlich gesehen wird. Deshalb denke ich, dass eine europäische Arbeitsteilung in der Normung und die gezielte Zusammenarbeit mit anderen Arbeitsschutzinstitutionen in Europa der geeignetere Weg ist, um Synergien zu entwickeln und den Arbeitsschutz gewichtiger zu machen. Die ergänzende Entwicklung von europäischen Netzwerken wie EUROSHNET auf Arbeitsebene ist sicher noch ausbaufähig und wird durch die Veränderungen in der Normungswelt eine neue Bedeutung erhalten.