KANBrief 4/15

Wandel der Arbeitswelt – eine Herausforderung für den Arbeitsschutz

Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Diese Aussage klang in diversen Vorträgen, Workshops und Diskussionen der 5. EUROSHNET-Konferenz in Sevilla immer wieder an. Digitalisierung, Automatisierung, demographischer Wandel und Globalisierung sind nur einige Schlagworte. Wir haben einige Kerngedanken für Sie herausgegriffen.

Die Diskussionen des Arbeitsschutzes kreisen heute um ganz andere Themen als noch vor wenigen Jahren. Stand früher eher die Produktsicherheit im Mittelpunkt der Betrachtung, so spielen heute zusätzlich die sich stark wandelnden Rahmenbedingungen der Arbeit eine viel größere Rolle.

Schöne neue Arbeitswelt

Künftig werden die Menschen in deutlich freieren Arbeitsverhältnissen arbeiten, und zwar zunehmend orts- und zeitunabhängig, so Kris De Meester (FEB: Federation of Enterprises in Belgium). Er erwartet beispielsweise, dass Arbeitnehmer nicht mehr für eine bestimmte Aufgabe eingestellt werden, sondern vielmehr die Arbeit an das individuelle Fähigkeitsprofil angepasst wird. Aufgabe von Führungskräften werde es nicht mehr sein, zu planen, kontrollieren und organisieren, sondern für die Motivation und Weiterentwicklung der Mitarbeiter zu sorgen.

Auch das wirtschaftliche Umfeld befinde sich im Umbruch: Die Lebenserwartung von Unternehmen sinke. Für KMU betrage sie durchschnittlich gerade einmal sechs Jahre.

In verschiedenen Beiträgen wurde angemerkt, dass angesichts all dieser Entwicklungen die herkömmlichen Instrumente des Arbeitsschutzes neu überdacht werden müssen. Klassische Top-down-Ansätze können hier keine ausreichende Wirkung mehr entfalten. Hinzu kommt, dass sich die Unbeständigkeit der neuen Strukturen nur schwer mit den heutigen festen Ausbildungs- und Regelungskonzepten vereinbaren lässt.

Technik, die begeistert

Auch die Technik entwickelt sich ständig weiter. Digitalisierung ist nur der Anfang. Dirk Watermann (KAN-Geschäftsstelle) nannte als Beispiele aktuelle Forschungsprojekte zu Drohnen, zu Nano-Robotern für die Krebsbehandlung, Gentherapie und Diagnosezwecke sowie zu genetisch veränderten Viren, die Batterien bauen und selber zur Komponente werden.

In vielen Fällen ist noch völlig unklar, wie diese Entwicklungen aus Arbeitsschutzsicht zu bewerten sind. Auf welcher Grundlage kann man die Sicherheit neuer Produkte und Systeme prüfen, wenn es noch keine Normen und keinen anerkannten Stand der Technik gibt? Der erste Schritt für den Arbeitsschutz muss daher darin bestehen, eingehender zu erforschen, welche neuen Risiken die Entwicklungen mit sich bringen.

Demografie – eine neue Herausforderung

Auch der demografische Wandel kam auf der Konferenz häufig zur Sprache. Jesús Álvarez Hidalgo (General Direktion Beschäftigung der EU-Kommission) nannte eindrückliche Zahlen: Von 2010 bis 2030 werde die Zahl der Arbeitnehmer zwischen 55 und 64 Jahren um 16 % zunehmen. Die Qualität des Arbeitslebens bekomme daher einen hohen praktischen Stellenwert. Das Ziel müsse sein, das Arbeitsleben ab dem ersten Tag nachhaltig zu gestalten, damit Arbeitnehmer länger an ihrem Arbeitsplatz bleiben können. Dazu gehört auch, dass Arbeitsplätze weit mehr als bisher an die Beschäftigten angepasst werden.

Regeln von der Stange für KMU ungeeignet

Mehrfach wurde auf der Konferenz unterstrichen, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bei den anstehenden Veränderungen besondere Unterstützung benötigen. Carlos Arranz (INSHT: Nationales Institut für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, Spanien) betonte, dass KMU mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze in Europa stellen, in Bezug auf den Arbeitsschutz jedoch mit strukturellen Nachteilen zu kämpfen haben. Die Zahl der schweren Unfälle nehme mit abnehmender Unternehmensgröße stark zu. Auch sei die Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften in KMU deutlich geringer ausgeprägt, da diese mit dem Thema häufig schlichtweg überfordert seien. Hier gilt es, komplexe Vorgaben einfach zu machen, praktische Instrumente zur Verfügung zu stellen und ein größeres Bewusstsein für den Nutzen des Arbeitsschutzes zu schaffen.

Norbert Breutmann (ehemals SAB OHS: Strategisches Beratungsgremium für Arbeitsschutz bei CEN), Kris De Meester (FEB) und Antti Koivula (FIOH: Finnisches Institut für Arbeitsschutz) waren sich einig, dass der Wandel auch Chancen eröffnet. Jammern sei nicht angesagt, so Breutmann. Im Gegenteil – der Arbeitsschutz müsse sich proaktiv und mitgestaltend den neuen technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen stellen.

Sonja Miesner
miesner@kan.de

Michael Robert
robert@kan.de