KANBrief 1/14

Das Arbeitnehmerbüro der KAN – Ein Novum wird 20

Bei der Gründung vor 20 Jahren war schon die KAN eine Besonderheit: eine eigene Einrichtung, um den Einfluss der traditionell in der Normung schwach vertretenen Sozialpartner zu erhöhen. Unterstützt wurde dieses Anliegen dadurch, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber eigene Büros innerhalb der KAN-Geschäftsstelle erhielten. Das Arbeitnehmerbüro ist seither eine Anlaufstelle für Gewerkschaften und Beschäftigte – spezialisiert auf „Arbeitsschutz und Normung“.

Eines der ersten Themen, das von Gewerkschaftsseite in die KAN eingebracht wurde, waren Unfälle mit Müllfahrzeugen. Es war damals ein wichtiger Schritt, in der Norm für Abfallsammelfahrzeuge (EN 1501-1 Abfallsammelfahrzeuge – Allgemeine Anforderungen und Sicherheitsanforderungen – Teil 1: Hecklader) zu verankern, dass ein Fahrzeug rückwärts gar nicht und vorwärts höchstens mit 30 km/h fahren darf, sobald ein Müllwerker hinten auf dem Trittbrett steht. Allerdings ließ sich nicht verhindern, dass allein mit Gewichtssensoren geprüft wird, ob das Trittbrett besetzt ist. Diese können mit einfachen Mitteln wie dem Unterlegen von Keilen umgangen werden.

Erfahrungswissen in die Normung!

Einen sehr ertragreichen Weg, Arbeitnehmerinteressen zu identifizieren, hat das Arbeitnehmerbüro in Projekten mit dem Europäischen Gewerkschaftsinstitut ETUI beschritten. Dabei wurden Bediener von Teleskopladern, Gabelstaplern und Mähdreschern als Experten „ihrer“ Maschinen direkt befragt, um ihr Erfahrungswissen für Verbesserungsvorschläge nutzbar zu machen. Diese Methode ist aufwändig, aber nötig, weil in vielen Normungsgremien gar nicht bekannt ist, wie sich die Produkte in der Praxis bewähren (vgl. Gabelstapler KANBrief 1/05, Teleskoplader KANBrief 3/08).

Neue Normen braucht das Land

Mit dem Stichwort Ballenpressen verbindet sich die erfolgreiche Initiierung einer Norm. In einer Altpapierpresse starb ein Arbeitnehmer bei dem Versuch, einen Papierstau loszutreten, da es keinerlei Not-Halt-Einrichtung gab – und auch keine Norm, in der entsprechende Sicherheitsanforderungen hätten stehen können. Die KAN hat daraufhin gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution (BGHW) sowie englischen und französischen Arbeitsschutzexperten einen Normentwurf erarbeitet und beim CEN eingereicht. Mit Erfolg: Nach fünfjährigen Beratungen ist die Norm für Ballenpressen (EN 16252 Horizontal arbeitende Ballenpressen) im Jahr 2011 erschienen.

Dass es nicht immer einfach ist, Arbeitnehmerinteressen in die Normung einzubringen, zeigt das Beispiel Baumaschinen. Die KAN hat eine Initiative der Gewerkschaft IG BAU sowie Petitionen an das deutsche und das europäische Parlament aufgegriffen und setzt sich dafür ein, dass die Norm für Baumaschinen (EN 474-1 Erdbaumaschinen – Sicherheit – Teil 1: Allgemeine Anforderungen) Ausstattungen wie Kamera-Monitor-Systeme verlangt, mit denen der Fahrer ausreichende Sicht rund um die Maschine hat. Dies wird von anderen Kreisen aus wirtschaftlichen Interessen bisher blockiert – allen tödlichen Unfällen zum Trotz.

Wo drückt der Schuh?

Über die Jahre fast unverändert geblieben sind allerdings die strukturellen Barrieren, die das Normungssystem für Interessengruppen bereithält:

• Die Mitarbeit in der Normung steht formal auch Arbeitnehmern offen, ist aber mit hohen Kosten verbunden. Für Kreise, die keinen wirtschaftlichen Nutzen aus den erarbeiteten Normen ziehen, sondern öffentliche Interessen vertreten, sollte die Beteiligung kostenlos sein und im Idealfall öffentlich gefördert werden.

• Die Zugänglichkeit der Dokumente ist dadurch erleichtert worden, dass zumindest beim DIN Normentwürfe kostenlos erhältlich sind. Dass man aber die fertigen Normen nach wie vor kaufen muss, ist nur dort akzeptabel, wo sie privaten wirtschaftlichen Zwecken dienen. Es ist nicht akzeptabel für Normen, die im öffentlichen Auftrag erstellt und mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. Normen, die politische Ziele und gesetzliche Anforderungen konkretisieren, müssen – wie die Gesetze selbst – kostenlos und leicht verfügbar sein.

Die gewerkschaftliche Forderung, das System der Normung zu demokratisieren, bleibt also auf der Tagesordnung – insbesondere für die europäische Ebene. Die Gewerkschaften fordern für europäische Abstimmungen einen Minderheitenschutz, wie es ihn beim DIN gibt, damit bei harmonisierten Normen die öffentlichen Anliegen nicht von privatwirtschaftlichen Interessen überstimmt werden können. Und wenn in Normen der Arbeitsschutz behandelt wird, muss den letztlich Betroffenen, nämlich den Arbeitnehmern, auch im europäischen Rahmen eine bevorzugte Mitwirkungsmöglichkeit garantiert werden.

Ulrich Bamberg